Verschiedene: Die zehnte Muse | |
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Betracht’ ich auch jedes Geschäft in der Welt,
Ich weiss mir kein besser’s als betteln;
Da kann ich bequem und so wie mir’s gefällt,
Das Leben, die Tage verzetteln;
Der nichts besitzt, nichts verlieren kann.
Die Arbeit, die jeder Vernünftige scheut,
Die heiss’ ich vom Halse mir bleiben;
Der Gott, der dem Sperling sein Futter streut,
Sie fliegen und flattern munter und frei,
Hungern ein bischen – und leben dabei.
Und eigentlich treib’ ich, was jeglicher thut;
Es betteln die ehrlichsten Leute;
Zu sorgen nur immer für heute;
Betrachtet das Treiben der Menschen nur recht –
Es ist mir ein völliges Bettlergeschlecht.
Der bettelt um Reichtum, um Ehren und Macht,
Der Liebende lauert in schweigsamer Nacht
Und bettelt sich ein in die Pforte;
Es quält sich der Künstler am Musenaltar,
Erbettelt sich Beifall von thörichter Schar.
Es bettelt mit Mien’ und Geberde,
Damit es dereinst als völliger Mann,
Ein völliger Bettler auch werde;
Schenk’ diesem die Erde, so weit sie bewohnt,
Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/220&oldid=- (Version vom 31.7.2018)