Verschiedene: Die zehnte Muse | |
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Ohne Hoffnung besiegelt sein traurig Geschick.
Nun rückwärts ans Land! Es braust und stürmt,
Dass Woge sich über Woge türmt.
Der Himmel ist schwarz, die See ist weiss
Auf all den Gesichtern, wetterbraun,
Die um sich Tod und Verderben schau’n.
Doch keiner versagt und keiner erschlafft,
Sie kämpfen sich durch mit Riesenkraft;
Da sind sie am Land und haben gesiegt. –
Da ist auch Harro; sein erstes Wort:
»Habt ihr sie alle?« »Nein, einer blieb dort;
Er hing zu hoch in den obersten Raa’n,
»So holen wir ihn!« spricht er in Ruh.
»Unmöglich, Harro, der Sturm nimmt zu,
Wir kommen nicht ab, wir kommen nicht an,
Wir müssen preisgeben den einen Mann.«
»An Bord! ’s ist unsre heil’ge Pflicht!
Wer hilft?« Sie schweigen. »So fahr’ ich allein!
Da tritt auf ihn zu sein Mütterlein:
»Harro, dein Vater blieb draussen in See,
Auch Uwe, dein Bruder, mein Jüngster fuhr aus
Und kommt nie wieder, nie wieder nach Haus,
Der brave Junge! Ich hatt’ ihn so lieb;
Gott weiss, wo die Flut auf den Sand ihn trieb!
Und käm’ ich aus Wetter und Wogenguss
Wie Uwe, dein Liebling, nicht wieder zu Land –
Wir stehen alle in Gottes Hand.«
Sie hält ihn, sie bittet, sie weint und fleht,
»Denk’ an mich, deine Mutter! Ich alte Frau –
»Ja, Mutter, weisst du denn so genau,
Ob der auf dem Wrack dort todesmatt,
Nicht auch daheim eine Mutter noch hat?« …
Für solchen Seegang zu wenig, zu schwach;
Doch fahren sie los und versuchen ihr Glück.
Dreimal wirft sie die Brandung zurück,
Dann sind sie hinüber; bald hoch und steil
Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/318&oldid=- (Version vom 11.1.2019)