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Verschiedene: Die zehnte Muse


5
Da wird ein Thürlein aufgemacht

Mit Fürsicht übermassen;
Ein Blondchen schleicht mit Vorbedacht
Heraus und längs der Strassen.

Die Füsse nackt und gross und braun,

10
Das runde Köpfchen glühend;

Verzaustes Haar – durchs Linnen schau’n
Die Brüstchen prall und blühend.

Sie blickt noch einmal rings herum,
Als wie verscheucht ein Mäuschen;

15
Dann reckt sie sich und lächelt stumm

Und schlüpft in eins der Häuschen.

Eugen Reichel.






Eine kleine Ballade.

Sie wohnte vier Treppen,
Er unten im Keller,
Und beide hatten sie keinen Heller.

Wohl litten sie nicht Hunger und Not,

5
Doch was sie verdienten mit ehrlichem Sinn,

Das reichte so gerade zum Leben hin.

Jung waren sie beide und lebensfroh,
Machten sich weiter keine Sorgen.
Kam heute das Glück nicht, kam’s wohl morgen.

10
Kehrten arbeitsmüd’ sie am Abend heim,

So schauten beide zum Fenster hinaus
Und sahen nach dem Glücke aus.

Aus dem Dache sah sie,
Aus dem Keller sah er,

15
Und mancher Seufzer flog hin und her.


An einem heissen Maientag
Sprach er sie schüchtern drunten an,
Als sie die Treppen zu steigen begann.

»Da oben ist’s wohl jetzt schön heiss?«

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»Ja,« lacht sie, »ja, der Sonnenschein

Heizt etwas stark mein Zimmerlein.«

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/45&oldid=- (Version vom 31.7.2018)