Seite:Dresdner Geschichtsblätter Erster Band.pdf/10

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

abgeleitet, ist! Die Straßennamen sind in älterer Zeit ebenso wie die Familiennamen überhaupt nicht festgesetzt worden, sondern aus dem Bedürfnisse nach genaueren Unterscheidungen ganz allmählich erwachsen. So sprach man ursprünglich etwa von „Hans dem Fleischer, der da wohnt unten nach dem See zu“, oder „in der Gasse, die nach dem See führt“, und erst nach und nach kürzer „Hans Fleischer in der Seegasse“, oder ein „Niclas mit dem Barte“ wohnte „unter den Webern“ oder „in der Gasse, da die Weber sitzen“, und erst später sagte man kurz „Niclas Bart in der Webergasse“. Auf diese Weise hat man sich in den alten Städten Jahrhunderte lang ohne feststehende Gassennamen beholfen, z. B. in Straßburg bis ins 13. Jahrhundert. In Dresden erscheinen die ersten Gassennamen urkundlich im Jahre 1324, also etwa ein Jahrhundert nach der muthmaßlichen Erbauung der Stadt, und in dieselbe Zeit fällt ungefähr auch die Entstehung der Familiennamen. Die Gassennamen wurden immer von den nächstliegenden Beziehungen abgeleitet: von einem in der Richtung der Gasse gelegenen Orte oder Gewässer, von der Flur, auf der sie angelegt worden, von angrenzenden Kirchen, Klöstern und andern Gebäuden, von den in der Gasse vorwiegend wohnenden Einwohnerklassen oder von dort angesessenen hervorragenden Familien.

Die alten Häuserlisten nach der Eintheilung in Stadtviertel beginnen jederzeit mit der Seegasse. Auf die Beziehung dieser Gasse zu den vor der Stadt liegenden kleinen Seen habe ich schon hingewiesen. Dicht an den Seen selbst lagen auch noch vorstädtische Gassen, genannt die „Gassen hinter dem alten und neuen See“. Davon sind noch Theile übrig in der Gasse Am See, d. i. dem neuen oder Untersee, und in der Gasse am alten oder Obersee, der Oberseergasse. Es ist erfreulich, daß gerade diese Namen, welche auf die Beschaffenheit der Gegend noch vor der Gründung der Stadt hinweisen, trotz gegentheiliger Bestrebungen bis heute aufrecht erhalten worden sind. Die Seegasse ist auch eine von den beiden, die zu allererst, bereits 1324, erwähnt werden. Die andere ist die Kundigengasse, so benannt nach einem darin angesessenen Adelsgeschlechte, den Kundigen, die mehrere Güter in der Umgegend, z. B. Wildberg und Helfenberg, besaßen. Schon in der Reformationszeit war, wie die verderbten Formen „Konigengasse“ und „Konigsgasse“ beweisen, der Ursprung des Namens beim Volke in Vergessenheit gerathen und man vertauschte ihn seitdem mit der nichtssagenden Benennung „Breitegasse“.

Die gleiche Bewandtniß hat es mit der Zahnsgasse, die ihren Namen einer hervorragenden Bürgerfamilie Zahn verdankt. Sie bietet ein ergötzliches Beispiel, mit welcher Kritiklosigkeit man früher bei solchen Erklärungen verfuhr. Der sonst so verständige Chronist Hasche meint nämlich, die Zahnsgasse heiße eigentlich „Sanisgasse“, zusammengezogen aus „Sanitätsgasse", hergeleitet von dem Sanitätshause, das dort unten an der Stadtmauer seinen Platz hatte (es ist das jetzige Schröersche Eckhaus an der Wallstraße). Nun hieß erstens dieses Haus, das in Pestzeiten das Krankenpflegpersonal beherbergte, nicht Sanitätshaus, sondern Pestilenzhaus, und zweitens ist es erst im Jahre 1574 eingerichtet worden, während die Zahnsgasse genau in dieser Namensform schon im Jahre 1396 genannt wird. So geht es, wenn man derartige Erklärungen auf bloße Vermuthungen statt auf Nachforschungen in den Archiven begründet!

Wir kommen zur kleinen und großen Webergasse, welche den Stadttheil bezeichnen, wo im Mittelalter vorwiegend die damals hier noch sehr zahlreichen Wollen- und Leineweber wohnten; das Leineweber-Innungshaus hat sich bis auf die neuere Zeit dort befunden. Seitdem der Rath um das Jahr 1500 an der Ecke der großen Webergasse und des Marktes ein kupfernes Scheffelmaß als Normalmaß für den Marktverkehr aufgehängt hatte, begann der Volksmund die große Webergasse auch als Scheffelgasse zu bezeichnen, ein Name, der schon binnen einem Jahrzehnt den älteren ganz verdrängte. Was die Wilsdruffer Gasse betrifft, so liegt es auf der Hand, daß ihr Name zunächst mit dem Wilsdruffer Thore zusammenhängt, von wo aus der Weg nach dem Nachbarorte Wilsdruff, ursprünglich Wilandsdorf, führte. Man nannte sie im Mittelalter kurz die „Wilische Gasse“. Die Schloßgasse hieß bis ins 16. Jahrhundert „Elbgasse“ nach dem sie am Nordende abschließenden Elbthore. Der Name der großen und kleinen Brüdergasse schreibt sich von dem an ihrem Ausgange gelegenen, im 13. Jahrhundert begründeten Kloster der Franziskaner oder Minderbrüder (fratres minores) her, von dessen Kirche die Grundmauern noch in der heutigen Sophienkirche erhalten sind.

Einige Schwierigkeit bietet die Erklärung des Namens Taschenberg. Er war ein ziemlich weit verbreiteter; so gab es im Mittelalter in Schlesien mehrere Dörfer dieses Namens, ferner in Breslau einen Taschenberg vor dem Taschenthore, zu welchem die Taschenbergische Gasse oder Taschengasse führte, ebenso in Brieg, auch vor der Stadt Bautzen und bei der Burg Dohna lag ein Taschenberg. An seine Ableitung vom Handwerk der Täschner ist nicht zu denken: eine Gasse der Täschner würde auch schon im Mittelalter Täschnergasse, nicht Taschengasse geheißen haben, und überdies waren doch Täschner auf den Dörfern, die den Namen tragen, gar nicht vorhanden. Man wird daher annehmen müssen, daß unter einem Taschenberg

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/10&oldid=- (Version vom 24.4.2024)