Seite:Dresdner Geschichtsblätter Erster Band.pdf/112

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.


III. Jahrgang          1894          Nr. 1.


Von diesen Blättern erscheinen jährlich 4 Nummern im Umfange von 1 bis 2 Bogen. Bestellpreis für den Jahrgang 3 Mark. Die Vereinsmitglieder erhalten die Blätter unentgeltlich zugesandt.


Elisa von der Recke
im Wonnemonat des Jahres 1790.
Mittheilungen aus ihrem Tagebuche
von
Dr. Otto Richter.

Das freundliche Andenken, das auch unsere Zeit Elisen von der Recke noch bewahrt, gilt nicht der sinnigen Dichterin, nicht der talentvollen Schriftstellerin. Was sie als solche geschaffen, ist in dem unaufhörlich anschwellenden Strome unseres Schriftthums längst untergegangen. Wir schätzen in ihr – und das ist mehr – die Frau von ungewöhnlicher Charakterstärke und Gemüthstiefe, deren Seelenadel Jahrzehnte hindurch den besten Theil des gebildeten Deutschlands bezauberte. Nicht in ihren Schriften – in ihrem Wesen selbst liegt der noch fortwirkende Reiz ihrer Persönlichkeit. Bei ihren Schicksalen wird daher auch der gern einen Augenblick verweilen, den sonst der zu ihrer Zeit herrschende Ton rationalistischer Schönseligkeit fremd anmuthet.

Charlotte Elisabeth Konstantia Reichsgräfin von Medem war am 20. Mai 1756 im Herzogthum Kurland geboren. Im zarten Alter von 15 Jahren hatte man sie mit dem 32jährigen Kammerherrn von der Recke verheirathet, einem rohen Wüstling, mit dem das feinfühlige Wesen eine äußerst unglückliche Ehe führte. Das Wenige, was sie von ihrem Manne erzählt, ist vollauf genug, um ihre Verachtung gegen ihn zu rechtfertigen. Und doch war es ihr, wie sie selbst sagt, von ihrer Kindheit an das höchste Bedürfniß, mit Innigkeit zu lieben und geliebt zu werden! Nach fünf leidensvollen Jahren, die ihre Gesundheit untergraben hatten, trennte sie sich 1776 von ihrem Gatten und ließ sich nach dem Tode ihrer einzigen Tochter im Jahre 1781 von ihm scheiden.

Durch die im Jahre 1779 erfolgte Verheirathung ihrer Stiefschwester Dorothea mit Peter Biron, dem letzten Herzog von Kurland, hatte Elisa eine hohe gesellschaftliche Stellung gewonnen; sie lebte seitdem meist am herzoglichen Hofe zu Mitau. Dort gelang es ihrer Klugheit, den berühmten Magiker Cagliostro zu entlarven; sie richtete 1787 eine in ganz Europa Aufsehen erregende Schrift gegen ihn, durch die sie den Betrüger vernichtete und sich zu einer gefeierten Persönlichkeit machte. Dieser Streitschrift ließ sie im Jahre 1788 eine zweite gegen den kryptokatholischen Oberhofprediger Starck in Darmstadt folgen.

In Deutschland war sie schon vorher durch mehrere Liedersammlungen bekannt geworden und mit den hervorragendsten Geistern in Beziehung getreten. Auf ihren Reisen durch Deutschland und besonders nach Karlsbad, wohin sie sich wiederholt mit ihrer Schwester und zur Wiederherstellung ihrer eignen Gesundheit begab, berührte sie mehrfach auch Dresden, zum ersten Male im August 1784; über diese Reise hat ihre Jugendfreundin und Begleiterin Sophie Becker ein anziehendes Tagebuch niedergeschrieben, das neuerdings veröffentlicht worden ist.[1] Dann kam sie wieder im Sommer und Herbst 1789 und im Mai 1790 nach Dresden. Nachdem das Herzogthum Kurland dem russischen Staate einverleibt worden, lebte sie seit dem Jahre 1797 ganz in Deutschland und großentheils in Dresden, wo sie die letzten 14 Jahre ununterbrochen, bekanntlich im engsten Freundschafts- und Geistesbunde mit Tiedge, dem Dichter


  1. Collection Spemann Nr. 61.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/112&oldid=- (Version vom 4.5.2024)