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entgegenzugehen wagen, und daß der Zuwachs um etwa 1000 solcher Menschen, besonders weil sie sich nicht absonderten, sondern anschlossen, ein werthvoller und dauernder Gewinn für unser Gemeinwesen war.


Anmerkung des Herausgebers. Es erübrigt die Frage zu beantworten, in welcher Beziehung die Böhmische Gemeinde zu der „Böhmischen Gasse“ in Antonstadt steht. Diese Gegend war, von wenigen Grundstücken am Elbufer abgesehen, bis ins vorige Jahrhundert ein öder unfruchtbarer Sandfleck. Der erste, der sich dort ansiedelte, war der Gärtner Bartholomäus Pablick aus Böhmen. Er war im Jahre 1718 hier Bürger geworden und hatte sich auf der Hinterseer Gemeinde ansässig gemacht. Im Jahre 1736 ließ er sich vom Kurfürsten ein Stück Land „auf dem Sande“ gegen Erbzins anweisen, baute darauf ein Haus und legte eine Gärtnerei an, erhielt auch die Erlaubniß, dort Bier zu schenken. Seinem Beispiele folgten andere Mitglieder der Böhmischen Gemeinde in Dresden, Nachkommen der zur Zeit des dreißigjährigen Krieges hier aufgenommenen Exulanten (vergl. Rathsakten A. XXIII. 54), und es entstand dort eine kleine Kolonie Böhmischer Gärtner. Nachdem im siebenjährigen Kriege ein großer Theil der Dresdner Vorstädte zerstört worden war, entschlossen sich viele Grundstücksbesitzer, ihre Plätze vor der Festung aufzugeben und sich auch drüben auf dem Sande anzubauen. (Vergl. K. W. Daßdorf, Beschreibung Dresdens, S. 164.) So erhielt die neue Vorstadt einen größeren Umfang und seit 1783 auch eine regelrechte Eintheilung in Gassen. Den ältesten Theil, die Ansiedelung der Böhmischen Gärtner, nannte man die Böhmische Gasse. Für die auf dem Sande wohnenden Böhmen stiftete der kurfürstliche Leibarzt Dr. Neide in seinem der Böhmischen Gemeinde vermachten Grundstücke an der Wasserstraße eine Schule, die 1787 eröffnet wurde. – Die vielfach verbreitete irrige Meinung, als ob sich Böhmische Exulanten schon im 17. Jahrhundert auf dem Sande angebaut hätten, ist durch eine von Hasche in seiner Geschichte Dresdens Th. 3 S. 209 ausgesprochene Vermuthung hervorgerufen worden, die dann Chr. A. Pescheck in seiner „Geschichte der Gegenreformation in Böhmen“ Band 2 (1844) S. 516 weiterverbreitet und F. E. Gehe in dem Buche „Die Unterrichts- und Erziehungs-Anstalten in Dresden“ (1845) S. 111 als Gewißheit hingestellt hat. Dabei hat sowohl Pescheck als Gehe übersehen, daß Hasche seine Vermuthung später selbst zurückgenommen und in dem Nachtrag zu seiner Geschichte Dresdens (Zweiter Beitrag zur Geschichte des 19. Jahrhunderts S. 24 flg.) den Sachverhalt richtig dargestellt hat.


Aus Julius Schnorrs Tagebüchern.
III.
1852.

August.

13) Freitag. Unser Freund aus der Münchner Zeit, der damals aus Dresden uns zukommende, von Bendemann empfohlene Maler Lasch, der nach fünfjährigem Aufenthalt in Moskau jetzt aus Rußland zurückgekehrt ist, macht uns einen Besuch. Er hat sich an Leib und Seele trefflich erhalten und macht denselben guten Eindruck wie damals, als er, Bendemanns Atelier verlassend, der Münchner Schule für einige Zeit sich anschloß. Sein Aufenthalt hier wird nur von kurzer Dauer sein; auch geht er nach ein paar Monaten nach Rußland zurück.

14) Samstag. Meine bis zur Abreise gestellte Arbeitsaufgabe ist nun erfüllt. Seit der Krankheit habe ich die vierte, im Ganzen die dreizehnte Aufzeichnung vollendet und übergebe sie diesen Morgen an Gaber… Da wir wünschen, Ludwig womöglich als Schüler zu Reißiger zu bringen, Richter den gleichen Wunsch für seinen Heinrich (Ludwigs bisherigen Lehrer) hegt, so mache ich heute noch einen Gang nach dessen Hause, um zu erfahren, wann ich ihn sprechen kann. Ich finde die Frau zu Hause, welcher ich unser Anliegen vortrage… Der liebe Lasch bringt den Abend bei uns zu. Er ist ganz der gute alte deutsche Lasch geblieben, wie wir ihn in München kannten. Sein fünfjähriger Aufenthalt in Rußland hat ihm nichts anhaben können.

15) Sonntag. Morgens um 9 Uhr bin ich mit Ludwig bei Kapellmeister Reißiger. Er erwartete uns und ist durch Vermittelung seiner Frau über unsere Wünsche im Klaren. Er spricht sich in der gütigsten Weise aus und erklärt sich bereit, Ludwigs Studien zu überwachen und seine Arbeiten durchzusehen; nur stellt er es als unabweisliche nächste Aufgabe hin, daß Ludwig Unterricht nehme in der Harmonie- und Kompositions-Lehre, für welchen Unterricht er Otto vorschlägt. Für den Unterricht im Pianofortespiel schlägt er Winterstein als den besten und gründlichsten vor. Später, wenn die Stimme entwickelt ist, soll der Gesang kultivirt werden. Reißiger faßt die Sache ganz in unserm Sinne auf. Er fordert Ludwig auf, etwas zu spielen. Dieser spielt und singt ein Lied von seiner (Ludwigs) Erfindung so unbefangen, sicher und gut, daß ich meine Freude habe. Reißiger äußert sich wenig, was ich begreife. Wir sind sehr glücklich über den erwünschten Ausgang des Besuchs… Nach Tisch besucht uns Neureuther, der morgen schon wieder abreist, um nach Berlin zu gehen. Während er mit uns Kaffee trinkt, kommt eine Sendung von Lasch. Bei Eröffnung der Packete finden sich russische Pantoffel-Schuhe für die beiden Mädchen, sehr brillante (noch ungemachte) für die Hausfrau und Stiefel für mich. Die Hauptsache ist aber ein herrliches schwarzes Pelzfutter, das mit folgenden Worten an mich gelangt: „Verehrt. H. D. Es schien mir von jeher gemeinsame Pflicht aller auf Bildung Anspruch machenden, ausgezeichnete Zeitgenossen warm zu halten. Im materiellen Rußland habe ich diesen Satz wörtlich materiell genommen und bitte freundlich und angelegentlich dies schwarze Vließ als geringen Beitrag in obigem Sinne nicht zu verschmähen. Als Paletot- oder Schlafrockfutter kann man es, so unscheinbar es jetzt ist, gelegentlich ganz lieb gewinnen.“

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/222&oldid=- (Version vom 10.4.2024)