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viele Arme, die auf die Almosen der Bürger angewiesen waren. Sie werden trotz der schlimmen Zeiten, welche Krieg und Pest mit sich brachten, in der Stadt geduldet, wenn sie einmal hereingekommen waren und sich sonst „gebührlich bezeigten“. Freilich brachten die besser gestellten Exulanten für die Stadt im allgemeinen und für einzelne Bürger auch großen Gewinn. Mancher fand eine gute Gelegenheit, sein Haus zu verkaufen, und mancher konnte Geld zu billigem Zinsfuß (5 % war das Uebliche) bekommen. Dagegen ist unzweifelhaft, daß andere durch die Exulanten direkt geschädigt wurden. Die Preise der Lebensmittel, Miethen und dergleichen stiegen bedeutend, und die zugezogenen Handwerker schmälerten den schon ansässigen den Verdienst. Trotzdem zeigen sich einige Innungen, z. B. die Schlosser und einmal auch die Schneider, willig, die Ankömmlinge in ihren Verband aufzunehmen. Später beschweren sich die Schneider einmal, aber vergeblich, beim Kurfürsten darüber, daß ein Exulant, ohne Meister zu sein, ihr Gewerbe selbständig hier ausübe. So haben auch die Schuhmacher, welche zweimal (1625 und 1628) sich weigern, Exulanten in ihre Innung aufzunehmen, kein Glück. Sie erreichen im zweiten Falle nur so viel, daß der Kurfürst verspricht, ihnen fernerhin keine ähnlichen Zumuthungen mehr zu machen. – Andere einzelne Gewerbetreibende, ein Goldschläger und zwei Seidenfärber, verwahren sich von vornherein gegen die Niederlassung von Konkurrenten. – Interessant ist auch ein Fall, wo der Rath (1631) beim Kurfürsten Beschwerde anbringt über einen gewissen Hans Kretzschmar, seit 1625 in Dresden und Bürger, der 12 Faß Wein, welche ihm auf seinem Weinberg in Böhmen erwachsen sind, in seinen Häusern an der Elbe ausschenken will. Der Kurfürst bestimmt, daß es bei den vom Rathe angezogenen Schankprivilegien von 1460 und 1556 zwar verbleiben soll, daß aber Kretzschmar seine 12 Faß Wein ausschenken dürfe, trotzdem seit 1569 der Weinschank den Bürgern freigegeben war.

Solche Fälle, wo Exulanten mit den altansässigen Bürgern in Streit kamen, waren jedoch selten, und den meisten Exulanten wird es nicht schwer geworden sein, sich in die neuen Verhältnisse einzuleben, besonders da für sie die Hoffnung, wieder in ihr Vaterland zurückzukehren, immermehr schwand und nach dem Westfälischen Frieden, in welchem ihrer gar nicht gedacht wurde, ganz aufgegeben werden mußte. Das, was sie in erster Linie gesucht hatten, die Möglichkeit, bei ihrem lutherischen Glauben zu verbleiben, das hatten sie ja gefunden.

Die Zeit nach dem Westfälischen Frieden brachte nun auch für das kleine Häuflein unter den Exulanten, dem es gewiß am schwersten geworden ist, sich hier einzugewöhnen, eine Wendung zum Besseren. Das waren die wenigen, welche kein Deutsch verstanden und sich danach sehnten, das Wort Gottes in ihrer Muttersprache zu vernehmen. Nur in den Häusern einiger vornehmer Exulanten hatte bisher Hausgottesdienst in böhmischer Sprache stattgefunden. Aber diese Einrichtung war dem Konsistorium offenbar ein Dorn im Auge. 1637 wird streng befohlen, keine Winkelprediger zu dulden. Dagegen hatte man in Pirna seit 1628 mit öffentlichem Gottesdienst in böhmischer Sprache keine schlechten Erfahrungen gemacht. Deshalb bewilligte 1650 der Kurfürst das Gesuch der hiesigen Exulanten böhmischer Nation um Ueberlassung der alten Johanniskirche vorm Pirnaischen Thore zu öffentlichem Gottesdienst in ihrer Sprache und um Anstellung eines eigenen Pfarrers, der aber ein „reiner, unverdächtiger, qualifizirter und hierzu absonderlich vereideter lutherischer Prediger“ sein sollte. Dieser erste böhmische Pfarrer war Johannes Hertwicius, früher Prediger zu St. Stephan in Prag. Die Gemeinde war augenscheinlich sehr schwach. 1681 wird sie vom Rathe auf kaum 50 Personen geschätzt. Ihre finanzielle Lage war infolgedessen Anfangs recht mißlich, hat sich aber später, wie bekannt, durch bedeutende Zuwendungen (besonders durch die Klengelsche Kasse), denen geringe Ausgaben gegenüberstanden, recht erfreulich gestaltet. Mit dem Rathe stand die Gemeinde ursprünglich gar nicht gut. Das ius patronatus des Rathes über die Johanniskirche hatten die Kirchväter 1658 nur gezwungen anerkannt. Dann gab es Streitigkeiten über das Rumpallsche Legat, welches der Rath für die Kirche, die Gemeinde für sich beanspruchte. Nach 1724, als die Böhmen darum nachsuchten, die Orgel in der Johanniskirche mit benutzen zu dürfen, scheint eine große Verstimmung gegen sie zu herrschen. Wir lesen am Rande des Gesuches die Bemerkung, daß es zu bewilligen bedenklich, weil man „mit diesen unbändigen Leuten“ nicht genug sich vorsehen könne.

Die böhmische Gemeinde ist nun, obwohl schon lange (seit 1837) nicht mehr böhmisch gepredigt wird, dasjenige Ueberbleibsel aus der von uns betrachteten Zeit der Einwanderung, welches die Erinnerung an die Exulanten bis auf uns lebendig erhalten hat und voraussichtlich alle künftigen Schicksale unserer Stadt theilen wird. Während sie ein bleibender Bestandtheil besonderer Art in unserem Gemeinwesen geworden ist, sind die Exulanten im übrigen in die hiesige Bevölkerung aufgegangen. Die Akten wissen zwar wenig zu erzählen von hervorragenden Persönlichkeiten unter den nach Dresden gekommenen böhmischen Exulanten, aber das ist unzweifelhaft, daß es nicht die schlechtesten Elemente eines Volkes sind, die um ihres Glaubens willen Haus und Hof hinter sich lassen und im festen Vertrauen auf ihre Kraft und Gottes Hülfe einer ungewissen Zukunft

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/221&oldid=- (Version vom 10.4.2024)