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(10–15000) immerhin nicht unbeträchtliche Zahl Fremder in den Organismus des Gemeinwesens einfügte. Wichtig ist in dieser Beziehung vor allem die Erwerbung des Bürgerrechts, die anfangs nur erwartet, später aber immer entschiedener (außer in bestimmten, noch zu erwähnenden Fällen) vorgeschrieben wurde. Wer das Bürgerrecht erwarb, übernahm Pflichten gegen die Stadt und gegen den Kurfürsten, genoß aber auch das Recht, bürgerliche Gewerbe zu treiben, und den Schutz des Rathes wie des Landesherrn, der einigen Exulanten in recht weitgehendem Maße zu Theil geworden ist. – Ausgeschlossen vom Bürgerrecht waren wegen unfreier Geburt die Leibeigenen, die aus Böhmen geflohen waren. (In den sächsischen Erblanden gab es keine Leibeigenen.) Sie wurden seit 1653 nur als Schutzverwandte zugelassen und fast ebenso besteuert, wie die Bürger. Da ihnen das ius emigrandi nicht zustand, konnte ihre Auslieferung verlangt werden. Das geschah auch mehrfach, aber die sächsische Regierung ging in den späteren Jahren der Einwanderung wenigstens bei wirklichen Religionsflüchtigen nur scheinbar auf die Reklamationen ein, stellte sich, als ob die Personen nicht zu finden wären, und schützte sie also indirekt doch. – Befreiungen vom Bürgerrecht kamen in fünf verschiedenen Fällen vor: erstens bei Armen, welche die Summe von 10 Thalern, die für das Bürgerrecht zu bezahlen war, nicht aufbringen konnten; zweitens bei reichen Personen bürgerlichen Standes, welche, wie es heißt, „von der Schnur“ lebten und keiner bürgerlichen Nahrung nachgingen; drittens bei solchen, die bald wieder in ihr Vaterland zurückzukehren hofften; viertens bei denen, welche in kurfürstliche Dienste traten, ohne daß sie vom Bürgerrecht ausgeschlossen waren; fünftens endlich bei Adligen. Diese letzteren weisen (1638) die Zumuthung, Bürger zu werden, als ihren Standesvorrechten widersprechend energisch zurück. Sie wollten „den Bürgern nicht gleich geachtet werden“ und vor allem nicht den Bürgereid leisten, während sie zu einem Handschlag bereit waren. Sie richten deshalb ein Gesuch an den Kurfürsten, der sie beschwichtigt und erklärt, daß er, unbeschadet ihrer Vorrechte, von ihnen nur einen Treueid gegen seine Person und die Pflichtleistung gegen den Rath verlange, und zwar sollte die Verpflichtung getrennt von den Personen bürgerlichen Standes in Gegenwart des Hofrathes Christian von Loß in der Wohnung des Bürgermeisters Rötting stattfinden. Demgemäß wird denn auch verfahren. Die Eidesformel, welche man hierbei anwandte, war dieselbe, wie bei den Schutzverwandten und lautete:

„Ich N. schwere zu Gott dem Allmächtig(en) das (ich) Churf. Durchl. zu Sachsen u. s. w., Meinem gnedigsten Herrn, vnter dessen gnedigsten Schuz ich als ein Exulant mich begeben getrew vndt holdt sein mit Ihrer Churf. Dchlt. wiederwertigen vndt Feinden mich in keine verdachtige Correspondentz noch bestallung einlassen, sondern nach meinem besten vermögen schaden helffen warnen, vndt abwenden, dargegen nuzen, vndt frommen befordern, vndt mich also bezeugen will als einem getrewen Schuzverwanten eigenet, vndt gebuhret, So wahr mir Gott helffe vndt sein heiliges wortt durch Jesum Christum unsern Herrn.“

Es wird in dieser Formel sonderbarerweise der Rath mit keinem Worte erwähnt. Das führte 1642 zu einem Streite mit einem adligen Exulanten, der von Freiberg nach Dresden kam. Er hatte dort den Eid schon geleistet und weigerte sich, ihn zu wiederholen. Der Rath wandte sich an den Kurfürsten und brachte zugleich eine neue Formel in Vorschlag, in welcher die Treue gegen den Rath mit zum Ausdruck kommt. Der Kurfürst pflichtet dem Rathe bei und bewilligt auch die neue Formel in Anbetracht der gefährlichen Zeiten. Bei dieser Gelegenheit verlangt der Rath von dem betreffenden Exulanten 24 Thaler Schutzgeld, geht aber schließlich nach längerem Handeln bis auf 15 Thaler herab. Das ist eine recht hohe Summe, die sich nur mit der besonderen Gereiztheit des Rathes in diesem Falle oder mit den guten Verhältnissen des Schützlings erklären läßt. Gewöhnlich betrug das Schutzgeld nur 2 Thaler. In Fällen großer Dürftigkeit begnügte man sich auch mit 1, während Wohlhabendere etwa 4 Thaler zahlten.

Das Schutzverhältniß wurde etwa seit 1636, also nach dem Prager Frieden, auf alle Exulanten ausgedehnt, welche nicht Bürger waren. Selbst die Wittwen, adligen wie bürgerlichen Standes, mußten in Begleitung ihrer „kriegischen Vormünder“ oder Kuratoren, welche für sie den Eid leisteten, vorm Rathe erscheinen. Desgleichen hatten sie Schutzgeld zu zahlen. – Warum man gerade in jener Zeit die allgemeine Vereidigung für dringlich erachtete, erklärt sich aus den veränderten politischen Verhältnissen. Man mochte, nicht ohne Grund, fürchten, die Exulanten könnten sich durch ihre Sympathien für die Schweden, auf welche sie jetzt ihre größte Hoffnung setzten, dazu hinreißen lassen, an der neuen Heimath bei sich bietender Gelegenheit Verrath zu üben. Indessen ist, in Dresden wenigstens, der gleichen nicht vorgekommen.

Während so die Regierung und, auf deren Antrieb, der Rath den Exulanten begreiflicherweise mit großer Vorsicht entgegenkamen, fanden die letzteren im allgemeinen bei der Bürgerschaft, wie der Kurfürst es hoffte, gewiß überall „ein billiges Mitleid“. Es gab, wie nicht anders zu erwarten war, unter den Exulanten

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/220&oldid=- (Version vom 10.4.2024)