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So einfach und oft unbedeutend die täglich gemachten Eintragungen auch sind, es läßt sich aus ihnen doch ein ganz hübsches Bild gewinnen von dem Leben einer guten Dresdner Familie jener Zeit im Hause, in der Stadt, sowie in deren näherer und fernerer Umgebung. Ja, dadurch, daß Sachsen damals ein vom französischen Kaiser sehr freundlich behandelter Bundesgenosse war und an den großen Entscheidungskämpfen mit theilnehmen mußte, läßt sich dann und wann auch der Wellenschlag jener bewegten Zeit in diesem Tagebuche verspüren.

Die Schreiberin ist die am 6. Februar 1790 geborene jüngere Tochter des Buchhalters und Hauptauswechselungskassirers Johann Gottl. Winkler. Sie lebte in dem jetzt noch auf der kleinen Schießgasse unter Nr. 1 stehenden Hause mit ihren Eltern, einer älteren Schwester und zeitweise auch mit einem Bruder, der gerade in jenen Jahren seine juristischen Studien auf der Universität Wittenberg abschloß und bald darauf in sein erstes Amt zu Hohenstein in der Sächsischen Schweiz, von wo aus er die Seinigen sehr oft besuchte, trat.

Die Familie bewohnte das dritte Stockwerk, dessen Vorderzimmer nach der Gasse, dessen Hinterzimmer auf den Wall und die Bastion Mars blickten.

Im unteren Geschoß, das die Beschießung im Jahre 1760 überdauert hat und noch heute alte Kreuzgewölbe zeigt, hatten die Königlich Sächsische Kassenbilletskommission, sowie die Hauptauswechselungskasse, deren Buchhalter der Vater war, ihren Sitz. Dadurch, daß das Bureau des Vaters in dem seiner Ehefrau gehörenden Hause war, verkehrten die jüngeren Amtsgenossen sehr oft in der Familie, darunter auch ein Vetter, der mit der Tagebuchschreiberin Schwester damals so gut wie verlobt war[1].

Diese Herren, von denen einer gelegentlich in einer schwarzen, mit Gold bestickten Sammetmütze sehr stattlich einherging, und noch viele andere Personen aus der Stadt, mit denen die Familie sehr befreundet war, verkehrten sehr oft zu Mittag oder zu Abend bei den Eltern, die ein sehr gastfreies Haus hielten. So verkehrten aber auch die Eltern häufig bei Freunden, namentlich bei dem damals sehr angesehenen Rechtskonsulenten Dr. Zange auf der Scheffelgaffe.

Manche Abende waren die Töchter mit dem Vetter oder den Eltern zu Hause. Man unterhielt sich lebhaft, die Mädchen spannen oder strickten auch, wenn das Spinnrad, das in den Aufzeichnungen bald nicht mehr erwähnt wird, zerbrochen war. Sehr gern wurden auch allerhand Spiele getrieben: Passarowitz, Rothspitzchen, Tippen und Solo. Vorzüglich aber wurde Hausmusik gepflegt. Außer dem Klavier, zu dem auch gern gesungen wurde, werden Violine, Flöte und Harfe erwähnt. Bruder und Vetter bearbeiten die zwei ersten, die Schwester spielt die Harfe und singt dazu. Um recht viel Vorrath zu haben, schreiben die Mädchen fleißig Noten ab oder borgen sie sich aus. Nicht selten werden auch Geschichten aus den damals so beliebten Almanachen und Taschenkalendern vorgelesen. In stillen Stunden versenkt sich wohl auch eins der Mädchen in ein Buch von Kotzebue, das mit Entzücken gelesen wird. – Waren die Schwestern des Abends etwa allein zu Hause, dann tanzten sie vergnügt mit einander, um sich immer vorzuüben, wenn ein Ball auf der Post (Landhausstraße) bevorstand. Mancherlei Unterhaltung boten die im Hause gepflegten Thiere. Da gab es einen treuen Hund Tamino, eine schnurrende Katze und im Hofe etliche Kaninchen. Von Kanarienvögeln hören wir nichts, wohl aber von Kreuzschnäbeln und Rothkehlchen; ja eine Zeit lang sind zahme Rebhühner die Begleiterinnen der Mädchen in den Zimmern, einmal sogar beim Spaziergang.

In der Fastnachtszeit verkleiden sich die Schwestern und überraschen die Ihrigen; an Geburtstagen werden harmlose Scherze aufgeführt. An einem solchen Familienfesttag, da es galt, draußen vor dem Plauenschen Schlage (auf dem Garten) das Geburtsfest einer Tante zu feiern, wurde mitten im Garten eine Pyramide mit der Inschrift: „Gott erhalte die gute Mutter“ angezündet. Ein Gast hält eine Rede in schönen Versen, die er dann überreicht; um die Geburtstägerin selbst wird aber feierlich eine Guirlande gelegt.

Außer dem Hause bieten mancherlei musikalische Aufführungen große Genüsse. Man geht ins Oratorium, das der Cantor Weinlig selbst komponirt hat und in der Kreuzkirche aufführt; Wohlthätigkeitskonzerte füllen die Frauenkirche bis auf den letzten Platz. In den am Mittwoch im Gewandhause abgehaltenen Dilettantenkonzerten werden Sänger und Sängerinnen, auch Instrumentalkünstler bewundert. Bläst doch einmal ein Herr die Flöte so, daß man sich in eine andere Welt versetzt fühlte“; ein andermal wird das Klavierspiel eines zwölfjährigen Mädchens, also eines Wunderkindes jener Zeiten, rühmend genannt. Auch in der Konversation[2] wird Musik gehört.

Es wurden zum ersten Male die selbstthätigen Musikwerke gezeigt, die der Sohn des Uhrmachers Kaufmann erfunden hatte. Diesen wird sehr viel Lob gespendet. Auch andere mechanisch-technische Aufführungen reizen zum Besuch. So werden einst in der Harmonie etliche „Kunststücke in der Elektrissität“ gezeigt.


  1. .Heinr. Wilhelm Rachel, 1831-1852 Kämmerer und Stadtrath in Dresden.
  2. Am See.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/235&oldid=- (Version vom 26.4.2024)