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ihnen fremden Herren verfolgt und mit Redensarten belästigt. Gern kam wohl der Vater oder der Vetter ans Komödienhaus, und man ging zu Colls, um sich noch mit einem Glase Bier zu stärken, oder zu Specks, um ein Gläschen Malaga zu trinken.

Und damit kommen wir zu den Orten, nach denen damals die bürgerlichen Familien der Stadt gingen, um sich zu erholen. Am meisten in die eben genannten Wirthschaften, aber auch zum Speisewirth Reh, der ihnen Käsekäulchen aufhebt. Selten verweilen sie im Rathskeller oder im Polnischen Brauhaus. Weitere Ziele sind ihnen Kammerdieners, Findlaters, Reisewitzens, sowie die Fasanenwärter und der Hofgärtner im Großen Garten.

Die nächste Erholung bot ihnen ja nicht der zuletzt genannte, so berühmte Ausflugsort. Wenn es galt, schnell frische Luft zu schöpfen, so gingen sie gleich hinter das Haus auf den Wall zwischen dem Pirnaischen Thore und der Bastion Mars. Dort, wo sich eine doppelte Reihe schöner hoher Bäume hinzog, haben sie oft gesessen, gelesen, geplaudert und gestrickt. Noch können wir uns eine Vorstellung von diesem baumgeschmückten Walle machen nach den vom Verein für Geschichte Dresdens herausgegebenen Kannegießer’schen Zeichnungen; die Nummern 52, 58, 61, 62 zeigen uns den Wall von verschiedenen Standpunkten aus, wie er zwischen Thor und Moritzmonument gewesen ist. Heute ist das alte Gemäuer, auf dem sich „der Berg“ des nun auch verschwundenen botanischen Gartens erhebt, der letzte Rest jener alten Befestigungen.

Ein vor 1812 vom Maler Gränicher gezeichnetes und noch vor 1818 gestochenes und in Buntdruck von Sprinck herausgegebenes Bild[1]: „Aeußere Ansicht vom Pirnaischen Thor zu Dresden, wie es vor der der Demolirung Anno 1812 war“ giebt uns eine Vorstellung vom Thor, den beiden Wachthäusern, rechts und links. Ueber dem jetzt auch dem Abbruche verfallenen Hause Amalienstraße Nr. 1 und den hohen Wallbäumen sieht man das steile Dach des Hauses Schießgasse Nr. 1 emporragen. Als im Jahre 1810 die Bauern die Abtragung des Walles beginnen, wird dem jungen Mädchen ganz traurig zu Muthe, denn wie viele glückliche Stunden hat sie dort plaudernd und strickend verbracht. Wenn aber der Vater dann und wann nach anderen Theilen der sinkenden Festungswerke geht, um sich vom Fortschreiten der Arbeit zu überzeugen, interessirt sie sich lebhaft dafür. Den Vortheil, den diese Demolirung der Stadt bringt: nicht mehr belagert und bestürmt zu werden, erkennt sie sehr wohl; sie ahnte nicht, daß sie noch die Schreckenstage von 1813 erleben sollte.

Vom alten Walle eilt man gern auf den Brühlschen Garten, um sich dort zu ergehen oder das schauerlich schöne Bild des Eisganges zu beobachten. Eine starke Anziehungskraft übte namentlich die „Neustädter Brücke“ aus, wie sie sie meist nennt. Fast jede Woche wird mindestens einmal hinüber nach Neustadt gegangen, zum schwarzen Thore hinaus, zum weißen Thore hinein. Manchmal wird der Spaziergang bis nach Neudorf oder Pieschen, am Wasser entlang, nach den Schiffmühlen ausgedehnt. War man dann noch im Verlauf des Nachmittags nach der Wohnung zurückgekommen, so gingen die Männer in den Abendstunden wohl noch ein zweites Mal über die Brücke und wieder zurück. Noch hatten sie dabei das architektonisch und landschaftlich gleich schöne Bild vor ihren Augen, wie es auf unseren Canalettostichen so reizvoll und wechselnd erscheint.

Während die Familie ganz selten nach Blasewitz, auch nicht sehr oft nach Plauen geht, werden die Schritte gern nach dem Großen Garten gerichtet. Bei dem oben schon erwähnten Fasanenwärter oder beim Hofgärtner wird eine delikate Semmelmilch eingenommen, wie denn überhaupt fast nie vom Bier- oder Kaffeetrinken die Rede ist. Auch in Winterszeiten ist der schöne Park beliebt; dann werfen sich die Mädchen sogar an Sontagnachmittagen mit Schneeballen oder sie lassen sich – ebenso wie auch auf der zugefrorenen Elbe – auf der Eisfläche des Teiches munter im Stuhlschlitten hin- und herfahren; vom Schlittschuhlaufen hört man aber nichts. Eines schönen Wintertages genießt die Familie auch die volle Freude des Schlittenfahrens, und zwar durch die Güte des befreundeten Hofbuchdruckers Meinhold, der sie nach Pirna und wieder zurück fährt.

Der Verkehr mit dieser alten Dresdner Familie bringt in das Haus des Buchhalters Winkler mancherlei Abwechselung. Sie besaß schon damals einen Weinberg in der Lößnitz, zu dem öfters gewandert wurde. Oft auch begegnete zur Freude der Frauen schon bei Pieschen der Wagen des Hofbuchdruckers den wandernden Freunden, denen er entgegengeschickt worden war. Lustig fuhr man hinaus, und lustig verbrachte man den Nachmittag im Garten, auf dem grünen Gras. Alljährlich ging es zur Weinlese hinaus; man schnitt selbst die Trauben ab, kelterte sich Most und feierte dann, „der Ernten schönste!“ Für das rege Leben bei Meinholds sprechen auch Theateraufführungen, die die Kinder im Winter in der Stadt, Erwachsene im Sommer draußen auf dem Hofe des Weinberggrundstückes versuchen. Eine solche größere Gesellschaft, an der auch der bekannte Hofrath Böttiger theilnahm, wurde zum Schluß noch durch eine festliche Illumination geehrt. – Elbaufwärts wurden die Pillnitzer Gelände, namentlich wenn


  1. Im Stadtmuseum ausgestellt. Gränicher ist 1813, Sprinck etwa 1818 gestorben, beide in Dresden.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/237&oldid=- (Version vom 26.4.2024)