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militärische Lager aufgeschlagen waren, einige Male besucht. Eines Tages drang die Gesellschaft, durch bekannte Hofbeamte geführt, bis in des Königs Speisesaal vor, wo man denn mit besonderer Andacht den Landesvater das Mahl einnehmen sah.

Auch Schloß Moritzburg wurde in jener Zeit schon gern besucht. Es regnete am Morgen des 10. Mai 1808, da man an das große Unternehmen ging, etwas, aber trotzdem fuhr man ab. Die Schwestern strickten im Wagen. Sie kamen bei gutem Wetter in Moritzburg an, besahen sich den Jahrmarkt, auf dem lebhafter Pferde- und Ochsenhandel getrieben wurde. Dann besichtigten sie das alte Schloß, dessen Ledertapeten und großer Speisesaal, in dem nicht lange vorher Kaiser Napoleon und König Friedrich August zur Tafel gesessen hatten, und dessen Kapelle ihnen sehr wohl gefielen. Wie freut sie sich über die munteren Jagdhunde, denen damals auch ein Besuch abgestattet wurde, und über die Gold- und Silberfasanen, die „gleichsam durch ihre Gebärden Gott für die ihnen verliehene Schönheit dankten“. Das Schiff, das man in jener Zeit noch besteigen konnte, bestiegen sie aber nicht, da der Schiffmeister andere Fremde im neuen Schloß herumführte. Von der Fütterung des Wildes, jetzt ein Hauptspaß der Einheimischen und der Fremden, hören wir nichts. Auf der Rückfahrt im offenen Wagen freuen sie sich alle des milden Abends, des herrlichen Blickes in die hohe Allee; dann aber wird wieder gestrickt, bis der Wagen durch das weiße Thor nach der „Neustädter Brücke“ gelangt. Da „divertirt“[1] es die Schreiberin, daß die Leute die „Herrschaften“ in der Kutsche so anstaunen.

Zweimal hat die Familie Winkler ihre Ausfahrten etwas weiter ausgedehnt. Im Jahre 1808 wurde Schandau, 1810 Teplitz auf je drei Wochen besucht. Von dem Aufenthalte in der Sächsischen Schweiz ist einiges merkwürdig. Im Wagen fuhr man – über Pirna und ‚Quärlequietzsch‘ – hin, im Schiff zurück; bei der Rückfahrt war man in großer Angst, denn ein Gewittersturm zwang vorübergehend zum Landen, und erst nach beinahe zwölfstündiger Fahrt stiegen die Reisenden am Elbberge aus.

Während ihres Aufenthaltes in den Bergen hatten die Mädchen Schwierigkeiten, die damals schon berühmten Punkte, wie den Kuhstall, den Lilienstein, den Winterberg und das Prebischthor, zu besuchen, denn sowohl die herrschende Sitte, als auch die Sorge der Eltern, verbot „Frauenzimmern“ solche gefährliche Wanderungen. Nur durch listige Täuschung der Eltern gelang es den Schwestern, im Anschluß an andere Personen, Winterberg und Prebischthor zu besteigen. Beide Punkte begeistern das junge Mädchen zu gefühlsseligen Schilderungen. Auf diesem schrieben sie ihre Namen auf eine Papierrolle, die sie in „einer der vielen dort befindlichen Höhlen“ verbargen; auf jenem überraschte sie ein heftiger Regen, so daß sie eilig hinab wanderten, den Führer aber mit dem mitgenommenen gemahlenen Kaffee nach Schmilka vorausschickten, wo sie ein wärmender Trank erwarten sollte.

Der Abschied von den Bergen, in denen sie „durch die Kühe auf der Weide und durch den Hirten, der sich sein Liedchen nicht nehmen ließ“, ganz in die Schweizer Gegend versetzt worden waren, fiel ihnen nicht leicht, und noch manchmal blickten sie vor dem Pirnaischen Schlage sehnsüchtig nach den aus der Ferne winkenden Höhen.

Nach ihrer Rückkehr giebt sich die Familie dem gewohnten gemüthlichen Leben hin; nur selten ereignen sich besonders merkwürdige Dinge. Ihre Wanderungen führen sie außer nach dem Großen Garten, damals auch noch nach Maxens, nach Antons Garten[2]. In diesem werden sie von einem heftigen Unwetter überrascht; sie flüchten sich nach dem Palais und beobachten von ihrem Zufluchtsorte aus eine glänzende Assemblée, die in den Prachtgemächern des unteren Stockwerkes abgehalten wird.

Wie kleinstädtisch die Verhältnisse noch waren, zeigen etliche Niederschriften über Leichensingen und Begräbnisse. Als Frau Kaufmann Roch, die in der Salomonisapotheke wohnte, gestorben war, sangen die Schüler am Abende, Fackeln tragend, vor dem Hause. Das Begräbniß einer Frau Oberböttcher Scheunert mußte um einen Tag verschoben werden, weil wegen des Jahrmarkts der Zug sich nicht ordentlich durch die Stadt bewegen konnte. Während er dann über den Neumarkt ging, traten die Herren in der Salomonisapotheke alle vor den Laden; die Schreiberin selbst betrachtete lange das herrliche Leichentuch.

Das gemüthliche Zusammenleben der Familie wurde im Herbste durch die Abreise des Sohnes nach Wittenberg zur Trauer der ihn zärtlich liebenden Schwester gestört. Der Student der Rechte fuhr mit etlichen Kommilitonen auf einem Schiffe die Elbe abwärts. Da es


  1. Dies Wort, und nie amüsiren, wendet sie an. Im übrigen gebraucht sie für jene Zeit nicht viel Fremdwörter. Charmant, galani, arriviren kommen öfters vor. Dagegen heißt es nicht Herren und Damen, sondern Mannspersonen und Frauenzimmer. Sehr scharf wird in Bezeichnungen unterschieden: Eine arme Jungfer Ludwigin kommt zu ihrem Vater bitten; sie selbst wird auf der Straße Mamsell Winkler angerufen; bei ihnen aber wohnt eine Zeit lang ein Fräulein von Brandenstein. Ist von den Frauen im Allgemeinen die Rede, so spricht sie vom Frauenzimmer. Das Wort Mensch, das noch im Dresdner Aldreßkalender 1809 bei Aufführung der königlichen und prinzlichen Hofstaaten in der Zusammensetzung „Kammermensch“ erscheint, begegnet uns in dem Tagebuche nicht.
  2. Jetzt Prinz Georgs Garten.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/238&oldid=- (Version vom 26.4.2024)