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Befehl, die Landwehrregimenter zusammenzuziehen und möglichst viele Offiziere zur Einstellung zu bringen. Man hoffe Alles aus den vorhandenen Beständen bestreiten zu können, doch seien freiwillige Beiträge erwünscht. Bei diesen Bekanntmachungen ist nur von der Landwehr, nicht mehr vom Banner die Rede. Wichtig und eine vornehme und ernstere Auffassung der Dinge bekundend sind die am 5. Mai erlassenen Bestimmungen, wonach Loskauf und Stellvertretung verboten sind.[1] Die Centralausschüsse sollen nicht von dem bisherigen falschen Gesichtspunkte ausgehen, nur die verlangte Anzahl zusammenzubringen und dabei schwächliche, zu kleine oder zu alte Leute einzustellen. Nicht jeder Verbrecher oder Vagabonde soll zum Soldatenstande für immer noch gut genug angesehen werden. Um alle Mißbräuche in Bezug auf Ansässigkeit, Unentbehrlichkeit und Invalidität zu beschränken, werden unredliche Rechtsgelehrte, Aerzte und Chirurgen mit Ausstoßung aus ihrem Berufe bedroht.

Daß unter der Bevölkerung Sachsens eine sehr seltsame Auffassung und Handhabung in diesen Dingen herrschte, beweist eine Veröffentlichung des preußischen Gouvernements unter dem 20. Mai 1815: Ein Militärpflichtiger aus der Umgebung von Waldenburg hatte sich unter Einsendung eines übrigens mangelhaften Zeugnisses und eines Dukatens an den Bataillonskommandanten Hauptmann von Sydow der Dienstpflicht zu entziehen versucht. Der Mann hat sich, für tüchtig befunden, einstellen lassen müssen; der Dukaten ist einer Unterstützungskasse für Krieger zugewiesen worden.

Wären schon im Jahre 1814 bei der allgemeinen Landesbewaffnung mit Weglassung des Banners die Landwehrregimenter nach preußischen Grundsätzen und Anordnungen gebildet worden, so würde der Kern der waffenfähigen und waffentüchtigen Männerwelt, so weit er nicht schon in der Linie steckte, als sächsische Landwehr ausgerückt sein, und vielleicht hätte man dann Rühmlicheres von ihr zu erzählen.

Knapp drei Wochen nach diesen preußichen Verfügungen des Jahres 1815 kehrte Friedrich August in sein verkleinertes Königreich zurück und ordnete eine für das Land zunächst gewiß günstige Armeeverminderung an; damit fiel auch seit dem Jahre 1816 die Landwehr, deren letzte Reste den Stamm von dritten Linienbataillonen bilden sollten. Daß sich der zurückgekehrte König für die unter russischer und preußischer Verwaltung entstandene sächsische und zugleich Dresdner Landwehr nicht interessiren konnte, ist erklärlich. Wäre diese Einrichtung im Sinne der zuletzt erwähnten preußischen Verfügungen erhalten worden, so würden auch wir Sachsen schon ein halbes Jahrhundert früher ein Volk oder Völkchen in Waffen gebildet haben.


Die Stadtgrenze bei Räcknitz

ist, wie ein Blick auf den Stadtplan lehrt, außerordentlich unregelmäßig. Von der alten Dippoldiswaldaer Straße an folgt sie nach Osten hin im ganzen der Richtung des Zelleschen Weges, jedoch greift das Stadtgebiet unterhalb Räcknitz und Zschertnitz plötzlich in einem breiten Streifen weit nach Süden aus, zwängt sich dann in bloßer Wegbreite zwischen den Fluren dieser beiden Dörfer hindurch nach der Höhe hinauf, umfaßt ein großes Landstück zwischen Räcknitz und Kleinpestitz bis an die von Plauen nach der Mockritzer Höhe führende „Kohlenstraße“ und zieht sich an dieser entlang noch über die neue Dippoldiswaldaer Landstraße hinweg beim Kaitzer Chausseehause vorbei weit nach Plauen zu.

Es liegt auf der Hand, daß ein so unregelmäßiges Stück Grenze nicht schon dem ursprünglichen Weichbilde angehört haben kann, wie es der Stadt bei ihrer Gründung vom Landesherrn verliehen worden ist, sondern daB diese seltsame Ausbuchtung des Stadtgebiets auf einer späteren Erwerbung beruhen muß. In der That liegt dort eine solche Erwerbung von Landgebiet vor, nämlich die des Vorwerks Räcknitz.

Unter einem Vorwerk verstand man im Mittelalter ursprünglich ein größeres Hofgut, das als Zubehör eines innenstädtischen Hofes von diesem aus mitbewirthschaftet wurde und das bisweilen auch befestigt war, in diesem Falle also als vorgeschobenes Bollwerk und Beobachtungsposten zur Stadtbefestigung gehörte. Später verlor sich jedoch das Merkmal der Zugehörigkeit zu einem Hauptgute und bezeichnete man als Vorwerk jedes ausgedehnte, aus Wirthschaftsgebäuden, Aeckern und Wiesen bestehende Landgut, das eine städtische Gemeinde oder Familie außerhalb des Weichbildes inne hatte.

Das Vorwerk Räcknitz war von alter Zeit her als markgräfliches Lehen und später als Erbgut im Besitze von Dresdner Bürgerfamilien. So finden wir z. B. 1384 den Bürger Peter Münzmeister, 1404 die Dresdner Familie von Leubnitz im Besitze je einer Hälfte des Vorwerks. In den Jahren 1465 und 1467 gingen beide Hälften von den Erben Franz Bibrachs, der sie zuletzt besessen hatte, kaufsweise auf den Rath zu Dresden über. Der Rath erwarb aber das Vorwerk nicht zu eigner Bewirthschaftung, sondern zum


  1. 57. Artikel unserer deutschen Reichsverfassung fällt einem hier ein: Jeder Deutsche ist wehrpflichtig und kann sich in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/35&oldid=- (Version vom 18.4.2024)