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Darmstadt mit Aufträgen bedachte und diese in seinem Quartier im Goethe’schen Hause ausführen ließ. In Leipzig nun fanden Goethe’s künstlerische Neigungen mannigfache Nahrung. Zunächst geschah es durch den Unterricht im Zeichnen, den er beim Direktor der dortigen Kunstakademie, Professor Oeser, nahm, und später im Radiren beim Kupferstecher Stock, unter dessen Leitung er z. B. Landschaften des Dresdner Hofmalers Thiele radirte. Oeser, ein in Ungarn geborener Deutscher, war von 1739 bis 1751 in Dresden als Maler thätig und hier Freund Winckelmann’s gewesen, der ihn für seine, die Kunst des klassischen Alterthums zum ewigen Vorbild aller Kunst erhebende Lehre gewann. Diese Schätzung der altgriechischen Kunst prägte nun Oeser wieder seinen Schülern ein, und Goethe, als ihrer einer, blieb dieser Kunstanschauung, vorübergehender Befreundung mit gothischer und altdeutscher Kunst ungeachtet, in der Hauptsache sein Leben hindurch treu, namentlich seit er in Italien Meisterwerke alter Kunst in größerer Zahl kennen gelernt hatte. Durch Oeser ward aber Goethe auch die Füglichkeit geboten, mit bedeutenden Sammlungen Leipziger Kunstfreunde bekannt zu werden; es waren dies die Gemälde und Kupferstichsammlungen Winkler’s, Richter’s und Kreuchauff’s. Die kostbarste Gemäldesammlung besaß wohl Gottfried Winkler. Sie bestand zu Goethe’s Zeit aus 628 Stücken deutscher, niederländischer, französischer und italienischer Meister. Die werthvollste Kupferstichsammlung wird die Kreuchauff’sche gewesen sein. Von Winkler’s Gemälden befinden sich gegenwärtig mehrere in Dresden im Besitze von Nachkommen Gottfried Winkler’s.

Die in diesen Kunstsammlungen empfangenen Eindrücke und die begeisterten Schilderungen der Dresdner Galerie erweckten in Goethe die Sehnsucht, diese hervorragendste aller deutschen Gemäldesammlungen kennen zu lernen, und er unternahm daher vor Beginn des letzten Semesters seiner Leipziger Studienzeit, im März 1768, eine Reise nach Dresden. Hierzu bedurfte er noch mehrerer Vorbereitungen, als ohnehin eine Reise zu jener Zeit erforderte; denn er hatte durch die abschreckenden Beschreibungen, die sein Vater von dem Leben in Gasthäusern zu machen pflegte, eine solche Abneigung dagegen geschöpft, daß er darauf bedacht war, in Dresden ein Unterkommen außerhalb eines Gasthauses zu finden. Dies wäre ihm auch gar nicht schwer geworden; denn unter seinen Leipziger Freunden waren auch Dresdner Kinder, die ihm manchmal zuredeten, Dresden zu besuchen und ihm Wohnung bei ihren hiesigen Verwandten anboten, so namentlich der damalige Rathsasssessor, nachmalige Bürgermeister von Leipzig Hermann, dessen Vater Oberhofprediger war, sowie ferner sein vertrautester Freund Behrisch, dessen Vater, Hofrath Behrisch, hier lebte. Allein solche Erbieten anzunehmen, hinderte Goethe eine andere Eigenheit; er vermied ungewöhnliche Schritte mit seinen Bekannten zu besprechen, liebte vielmehr mit vollzogenen Thatsachen hervorzutreten. Das sprechendste Beispiel hierfür gab er bei seiner Reise nach Italien, deren Ziel er außer seinem Kammerdiener Niemandem, nicht einmal dem Herzog vertraute. Für das Unterkommen in Dresden gerieth er daher auf eine andere Auskunft. Sein Stubennachbar in der Großen Feuerkugel zu Leipzig war ein armer halb blinder Theolog Limprecht, der mit einem Vetter in Dresden, einem Schuhmacher, in Briefwechsel stand. Goethe las dessen Briefe auch und fühlte sich durch die verständigen Ansichten und die heitere Laune des Schreibers angezogen. Den Wunsch, den Mann kennen zu lernen, konnte er nun mit dem Vorhaben, während des bevorstehenden Aufenthalts in Dresden in einer Familie Aufnahme zu suchen, vereinigen, indem er sich von Limprecht empfehlen ließ. Dies geschah.

Wer war nun dieser Vetter? In den Listen der Schuhmacher-Innung kommt zu jener Zeit kein Limprecht vor, und wir müssen ihn daher auf einem Umweg suchen. Limprecht’s Mutter war eine geborene Engelmann und diesen Namen führten damals zwei Schuhmachermeister hier, mit Vornamen Ernst Gottfried und Johann Gottfried. Goethe erzählt, daß Limprecht’s Vetter in einer Vorstadt gewohnt habe; ließe sich also ermitteln, daß ein Schuhmacher Engelmann in einer solchen zu Hause gewesen sei, so dürften wir diesen mit größter Wahrscheinlichkeit als den Mann bezeichnen, den uns Goethe so anziehend in „Dichtung und Wahrheit“ vor Augen führt. Dieser Engelmann – wie wir ihn der Kürze halber nennen wollen – empfing nun Goethe mit höchster Verwunderung, als dieser ihm eröffnete, daß er bei ihm zu wohnen wünsche. Er sowohl als die Frau Meisterin versicherten, daß sie durchaus nicht darauf eingerichtet seien, einen so feinen Herrn zu beherbergen, allein Goethe ließ sich nicht abweisen und stellte der Frau Engelmann seine Börse zur Verfügung, um das nöthige zu seiner Unterbringung zu beschaffen. Beide Theile setzten sich übrigens von vorn herein auf guten Fuß, ließen Scherze hinüber und herüber gehen und machten sich es so gegenseitig leicht, in die ungewöhnlichen Verhältnisse sich zu schicken. Goethe blieb da während seines achttägigen Dresdner Aufenthalts.

Er besah sich zunächst die Stadt von der Kuppel der Frauenkirche aus und hatte von da einen traurigen Blick über die Trümmer, die seit der Beschießung der Stadt durch die Truppen des Königs Friedrich II von Preußen noch nicht beseitigt waren; namentlich lagen die Kreuzkirche und die Moritzstraße noch ganz in Schutt.

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/40&oldid=- (Version vom 28.3.2024)