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Am nächsten Morgen begab sich Goethe voll spannender Erwartung in die Galerie, das jetzige Johanneum. Er war ganz Entzücken. Schon das Aeußere machte ihm gewaltigen Eindruck: die weiten, hohen Säle, der Glanz der damals noch frischen Vergoldung der Prachtrahmen berauschten ihn gleich beim Eintritt. Und nun gar der ungeahnte Kunstwerth der Gemälde! Sie waren damals so angeordnet, daß in den an den äußeren Umfassungsmauern gelegenen Sälen vorzugsweise Gemälde der niederländischen Meister aufgehängt waren, in den inneren, nach dem Hofe zu gelegenen Sälen die Gemälde der Italiener. Die Niederländer fesselten aber Goethe gleich so, daß er anfänglich geradezu ablehnte, die innere Galerie zu betreten. Seine Begeisterung sprach er in so unablässig sprudelnder Rede aus, daß der Galerieinspektor Riedel auf ihn aufmerksam wurde und ihm seine Begleitung widmete; zuletzt wurde er auch dem Galeriedirektor von Hagedorn – Bruder des Dichters – vorgestellt. Um den Werth dieses Umstandes zu würdigen, bedenke man, daß Goethe damals nichts war als ein ganz unbekannter Student von achtzehn Jahren, sodaß er also die ihm zutheil gewordene besondere Beachtung nur dem Eindruck verdankte, den seine Persönlichkeit und sein Kunstverständniß hervorrief.

An den folgenden Tagen beschränkte sich Goethe selbstverständlich nicht mehr auf die niederländischen Gemälde. Wunderbarerweise waren es von den Werken italienischer Meister besonders die biblischen Gleichnisse von Domenico Feti, die ihn vorzugsweise anzogen. Sie dürften sich erinnern, daß dieser, der venezianischen Schule angehörige Maler die neutestamentlichen Gleichnisse vom verlorenen Sohn, vom verlorenen Groschen, vom verlorenen Schaf, vom Blinden als Wegweiser, von den Weinbergsarbeitern, vom Gastmahl der Krüppel und Lahmen, sowie vom habgierigen Knecht gemalt hat. Goethe wurde wegen seiner Vorliebe für Domenico Feti zwar von Herder bitter verspottet, als Beide dritthalb Jahre später in Straßburg zusammentrafen, aber unverständlich ist diese Vorliebe doch nicht. Diese Geschmacksrichtung hängt zunächst mit seiner Neigung für niederländische Gemälde zusammen, denn jene biblischen Parabeln sind Genrebilder, ähnlich wie deren zahlreiche Niederländer, als Teniers, Gijsels, Netscher, Ostade, Mieris, Schalcken u. a. gemalt haben. Um aber die Bevorzugung der Niederländer vor den Italienern bei dem jungen Goethe im Allgemeinen begreiflich zu finden, haben wir auf sein Wesen überhaupt seine Eigenschaften in ihrer Gesammtheit zurückzugehen. Sie werden erwarten, daß ich mich hierüber deutlicher erkläre, und ich erkenne auch die Verpflichtung hierzu an; ich gerathe jedoch deshalb in einige Verlegenheit. Eine gründliche Darstellung von Goethe’s Wesen und Eigenschaften hier so nebenbei, wo es sich um einen sachlich und zeitlich begrenzten Vortrag handelt, zu geben, ist unmöglich, und kann ich mich daher nur auf Andeutungen beschränken, freilich auf die Gefahr hin, nicht allseitig verständlich zu erscheinen. Also: Goethe’s Größe beruht darin, daß er alle Eindrücke der Außenwelt rein und tief auf sich wirken ließ, das, was in dem Einwirkenden Natur war, klar erkannte, das durch gesunde Entwickelung Gewordene von willkürlich Gemachten sicher unterschied und trennte, solcherweise aber in sich selbst die Bildung des Menschenthums wiederholte, die ja im Laufe der Zeiten durch allmähliche Ausstoßung des vom Ziele Ablenkenden denselben Gang nimmt. Bevor Goethe eine Bildungsstufe sich fest aneignete, mußte er selbst die Vorstufen innerlich verarbeitet haben; sogenannte Originalität, d. h. Handeln ohne Anschluß an Gegebenes, haßte und verfolgte er. Die reine Hingabe an die Natur befähigte ihn u. a. später, ohne beabsichtigtes Spüren, wie es Sache der Gelehrten ist, nur durch unbestochenes, vorurtheilfreies Sehen wichtige Naturgesetze zu entdecken, und aus der unbefangenen Würdigung naturgemäßer Zustände gingen seine in die Tiefe greifenden Dichtungen hervor. Daher also war er auch mit den niederländischen Malern vermöge ihres Anschlusses an volksthümliches Leben schnell vertraut, nicht so mit italienischen, die aus dem Kulturgebiet katholischer Anschauungen schöpften, das ihm fremd gegenüberstand, in das er sich nur durch unklare Vorstellungen, ohne selbst in dieser Richtung durchgemachte Entwickelung, demnach sprungweise hätte hineinversetzen können. Diese italienischen Maler lernte er vollständig erst würdigen, als er in Italien jenes Kulturgebiet im frischen Leben kennen und verstehen lernte.

Die lebhaften Aeußerungen der Bewunderung der Meisterwerke der Galerie brachten Goethe auch in Gespräch mit einem jungen Manne, der einer hiesigen Gesandtschaft angehörte. Dieser lud Goethe ein, sich abends in einem Gasthof, vielleicht Hôtel de Pologne, einzufinden, wo sich mehrere junge Leute seiner Bekanntschaft zu versammeln pflegten. Goethe folgte der Einladung, traf aber gerade eine recht wilde Unterhaltung, da die jungen Herren einen anderen Gast zur Zielscheibe vielfacher Ausgelassenheiten machten. Dies Gebahren sagte Goethe nicht zu, weshalb er sich bald entfernte und keinem zweiten solchen Abend beiwohnte.

Während seiner Anwesenheit in Dresden suchte Goethe auch die Familie seines früheren Leipziger Freundes Behrisch auf, der aber damals schon in Dessau als Erzieher am fürstlichen Hofe lebte. Seine Stelle als Hofmeister eines Grafen Lindenau hatte er verloren, weil dessen Vater, der Oberstallmeister und Wirkliche

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/41&oldid=- (Version vom 28.3.2024)