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und seines endlichen Sieges ganz durchdrungen war und zu den gegnerischen Führern noch kein Zutrauen zu fassen Ursache gehabt hatte. Er äußerte daher gegen Körner heftig: „Ja, schüttelt nur Eure Ketten! Der Mann ist Euch zu groß.“ Theodor’s Eltern, die sonst gewohnt waren, den Sohn bei allen seinen Unternehmungen nur preisen zu hören, waren von dieser unerwarteten Verurtheilung tief verlegt, sodaß von da ab zunächst jede Verbindung zwischen ihnen und Goethe aufhörte; erst 1821 schrieb Körner von Löbichau aus – also wohl auf Zureden der Herzogin Dorothea von Kurland - wieder an Goethe, der dann auch herzlich antwortete.

Körner’s Schwägerin, Dora Stock, die ältere der Schwestern, war die bekannte Pastellmalerin und Goethen eine liebe Erinnerung aus seiner Studienzeit; nur war es ihm unlieb, wenn sie oder ihre Schwester ihm seine Eigenheiten jener Zeit oder seine kleinen Abenteuer vorrückten. Dann meinte er: sie wären seine enfants terribles mit ihrem verfluchten Gedächtniß. Goethe und Dora Stock neckten sich gern. Als z. B. Dora Stock Goethe um Besorgung von Nudeln in Dresden gebeten hatte, – wie er denn seine in halb Europa verstreuten Bekannten häufig zu Herbeischaffung von Leckerbissen und Trinkgenüssen benutzte, – ließ sie ihm sagen: es freue sie, daß er gelegentlich seiner Küchenbedürfnisse sich ihrer wieder einmal erinnere. Er scherzte galant; als er seine Elegie „Alexis und Dora“ Körnern sandte, gab er den Auftrag an dessen Schwägerin: er wisse nicht, durch welchen Zauber er abermals auf den Namen Dora gekommen sei. – Mit dem „abermals“ kann er wohl nur auf „Hermann und Dorothea“ deuten.

Beim hiesigen Aufenthalt von 1790 vernachlässigte Goethe aber auch wieder keineswegs die Kunst. Er lernte jetzt den Direktor der Kunstakademie Casanova kennen. Dieser war ein geborener Venezianer, aber jung mit seiner bei der italienischen Oper angestellten Mutter nach Dresden gekommen. Er bildete sich hier und später in Italien zum Maler aus, als welcher er jedoch nichts Hervorragendes geleistet hat; indessen waren seine Kreidezeichnungen gesucht. Er betheiligte sich in Italien an Herausgabe von Winckelmann’s Monumenti antichi und kehrte 1764 nach Dresden als Professor an der Kunstakademie zurück, deren Direktion er 1776 übertragen erhielt.

1790 lernte Goethe den damals hier verweilenden Zeichner und Maler Romberg aus Hannover kennen, der ihn durch die Schnelligkeit, mit der er Skizzen entwarf, in Erstaunen setzte. Diese Flüchtigkeit des Arbeitens ist wohl Ursache, daß Romberg seinen Ruf bald überlebt hat. Der Buchhändler Fleischer in Leipzig ließ durch ihn Illustrationen zu Goethe’s Verben, Ausgabe letzter Hand, herstellen; es sind keine Meisterstücke.

Mit der Kunst hatte Goethe’s damaliger Verkehr mit Wilhelm Gottlieb Becker schwerlich etwas zu schaffen; denn obwohl dieser Gelehrte als Alterthumskenner genannt wird und durch Herausgabe des „Augusteums“, des Prachtwerkes über die Dresdner Antikensammlung, als solcher sich eingeführt hat, und obwohl er ferner als Inspektor des Antiken- und Münzkabinets für einen Kunstfreund wie Goethe als werthvoller Umgang erscheint, so trat er doch 1790 weder schriftstellerisch noch amtlich in gedachten Richtungen hervor, sodaß ihn Goethe wohl nur in Fortsetzung der 1776 in Leipzig gemachten und nachher in Karlsbad erneuten Bekanntschaft aufsuchte. 1790 war Becker Professor an der Ritterakademie.

Sprachwissenschaftliches Interesse war es wohl, das Goethen bewog, mit dem Oberbibliothekar Adelung sich zu treffen. Adelung, ein geborener Pommer, hatte sich nach damaligem Stande der Sprachwissenschaft unbestreitbares Verdienst um die deutsche Sprache durch sein großes Wörterbuch der hochdeutschen Sprache erworben, und gerade 1790 war die zweite bereicherte Ausgabe seiner „Vollständigen Anweisung zur Deutschen Orthographie“ herausgekommen. Sein Streben ging dahin, festzustellen, was nach den besten Schriftstellern jener Zeit, soweit sie in der Mundart Kursachsens geschrieben, als sprachrichtig anzusehen sei. Goethe benutzte Adelung’s Wörterbuch häufig, um sich zu vergewissern, ob sein eigener sprachlicher Ausdruck vor diesem zuständigen Richter bestehe.

Endlich war noch ein 1790 von Goethe in Dresden gepflogener Verkehr von Bedeutung, nämlich der mit dem Docenten an der vormaligen hiesigen Medicinisch-chirurgischen Akademie, sowie Inspektor des Naturalien- und Mineralienkabinets Titius. Allerdings treten Wirkungen dieses Verkehres erst nach dem 20 Jahre später wiederholten Besuche der Titius unterstellten Kabinete zu Tage, allein die Fäden waren doch 1790 schon angeknüpft. Goethe hatte sich seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts viel mit Anatomie, namentlich mit der Knochenlehre beschäftigt und dabei wichtige Entdeckungen gemacht, die zwar anfänglich von den bestellten Männern der Wissenschaft mit wenigen Ausnahmen als von einem Unberufenen ausgehend abgewiesen, von dem damals berühmtesten Anatomen Camper sogar sehr boshaft verhöhnt wurden, die aber jetzt durchgängig als Ergebnis scharfer und richtiger Beobachtung anerkannt sind. Eben im Frühjahr 1790 war Goethe auf einem Spaziergange nach dem Judenfriedhof zu Venedig bei Betrachtung eines im Wege liegenden Schafschädels wiederum eine wichtige Entdeckung aufgegangen, und darum war es ihm sehr werthvoll, unter der sachkundigen Führung des Vorstandes des hiesigen Naturalienkabinets die Knochengerüste

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/43&oldid=- (Version vom 28.3.2024)