lag der Versuch nahe, zumal nachdem man festgestellt hatte, daß Napoleon nach der Lausitz hin abgezogen und Dresden nur durch ein Armeekorps gedeckt war. Hätte Fürst Schwarzenberg am 25. August, wo ihm schon ausreichende Streitkräfte zur Verfügung standen, den Sturm auf die Stadt gewagt, der Erfolg wäre ihm sicher gewesen. Statt dessen zögerte er unentschlossen und schritt erst am folgenden Nachmittag zum Angriff, als ihm Napoleon, der mit seinen Kerntruppen eilends zurückgekehrt war, schon wieder selbst gegenüberstand. Der zweitägige Kampf, bei dem der Kaiser von Rußland und der König von Preußen Augenzeugen waren, endete mit dem Rückzuge der Angreifer. Aber es war kein bloßes Rückzugsgefecht, wie man in dem Bestreben, alte Tatsachen in ganz neuer Beleuchtung zu zeigen, jüngst hat behaupten wollen, sondern eine bedeutende Schlacht, deren Verlust für die Verbündeten schwer genug wog und nur durch die fast gleichzeitigen Siege bei Großbeeren, an der Katzbach und bei Kulm wettgemacht wurde. Für Dresden war dieser Ausgang ein Glück, denn die Erstürmung der Stadt wäre für die Einwohner, deren Kräfte durch die unaufhörliche Einquartierung von Hunderttausenden fremder Soldaten und durch unerhörten Steuerdruck schon erschöpft waren, wahrscheinlich auch noch mit Plünderung verbunden gewesen. Es war eine schwere Schickung für sie, um der Selbsterhaltung willen vor einem Siege der Verbündeten bangen zu müssen, den sie ihnen, wiewohl verwirrt und entmutigt durch die undeutsche Politik ihres Landesherrn, im Herzen wünschten. Kämpfte doch auch der Sohn mancher Dresdner Familie als Freiwilliger in den gegnerischen Reihen. Gerade an diesem 26. August, an dem der blutige Kampf um Dresden entbrannte, fand auf dem nördlichen Kriegsschauplatze der Dichterjüngling, der durch seine Lieder die Begeisterung für die Befreiung Deutschlands mächtig geschürt hatte, den Heldentod: Theodor Körner. Ihn hat Dresden als sein Sühneopfer auf dem Altare des Vaterlandes dargebracht.
Im Oktober endlich war auf Leipzigs Gefilden die Herrschaft des Korsen zusammengebrochen, aber erst am 11. November, nach einer langen, mit Hungersnot und Typhusepidemie verbundenen Einschließung, sah Dresden sich von den fremden Bedrückern befreit. Die Rolle, die es zum Unheil seiner Bewohner in zwei großen Kriegen als Festung gespielt, war zu Ende. Die Entfestigung ward nun durchgeführt. Ein einziges Stück der verhängnisvollen steinernen Wälle ist erhalten geblieben: die Brühlsche Terrasse. An Stelle der Batterien erheben sich auf ihr Prachtgebäude, die der Kunst geweiht sind.
Die ungeheuren Kriegsleistungen hatten den seit dem Siebenjährigen Kriege kaum wiedergewonnenen Wohlstand der Stadt aufs neue verzehrt. Die herrschende Dürftigkeit äußerte in der nächsten Zeit ihren Einfluß auch auf das geistige Leben, das überdies unter der Zerklüftung litt, die durch die erzwungene Abtretung der Hälfte des Landes an Preußen in die gebildeten Stände getragen worden war. Ein Verlust war es, als Christian Gottfried Körner, bedrückt durch die unerquicklichen politischen Verhältnisse, von Dresden wegzog. Dieser treffliche Mann hatte einst Schillern aus der Verzweiflung an seinem Dichterberuf gerissen und ihm in seinem Hause zwei sorgenlose Jahre freudigen Schaffens bereitet, die Dresden in ehrenvoller Weise mit dem Andenken an den großen National dichter verknüpfen. Körners Haus war der Sammelpunkt aller Fremden und Einheimischen gewesen, die auf geistige Bedeutung Anspruch machten, unter den Fremden alle überragend Goethe, unter den Einheimischen Heinrich von Kleist, der von 1807 bis 1809 in Dresden lebte und hier den „Michael Kohlhaas“, das „Käthchen von Heilbronn“ und die „Hermannsschlacht“ dichtete. Nicht wenige aus diesem edlen Kreise hat Anton Graff, der fleißige Dresdner Maler, in ausgezeichneten Bildnissen verewigt. Einen ähnlichen geistigen Mittelpunkt bildete dann erst wieder der seit 1819 hier wohnende Dichter Ludwig Tieck, dessen abendliche Vorlesungen in dem Eckhause an der Kreuzkirche Berühmtheit erlangten. Neben diesem Romantiker der Literatur wirkte der Romantiker der Musik, Karl Maria von Weber. Er machte Dresden wieder zum Hauptsitze der deutschen Oper und gewann ihm damit die Stellung zurück, die es schon einmal im 17. Jahrhundert durch Heinrich Schütz ein genommen hatte. Ein noch Größerer ward der Fortsetzer und Vollender seines Schaffens: Richard Wagner, der seit 1842 dem Dresdner Theater angehörte. Die Geburtsstätte unvergänglicher Werke wie „Der Freischütz“, „Der fliegende Holländer“ und „Tannhäuser“ gewesen zu sein, wird eine Stadt sich gewiß rühmen dürfen, zumal wenn ihre Bevölkerung es den Meistern gegenüber nicht an fördernder Anerkennung hat fehlen lassen.
Als die Wunden, die der Krieg dem wirtschaftlichen Leben des Landes geschlagen, anfingen zu vernarben, entwickelte sich unter der Regierung des feinfinnigen Königs Friedrich August II. eine neue Blüte der Künste. Mit dem heiter prächtigen Hoftheater und dem ruhig stolzen Museumsgebäude, das sich dem ganz anders gearteten, lebensprühenden Zwinger in bewundernswerter Harmonie anschloß, begründete Gottfried Semper seinen Ruf als erster Baumeister der Zeit. Der Bildhauerkunst erstand ein Bahnbrecher in Rauchs Schüler Ernst Rietschel, der die klassische Formenschönheit mit größerer Naturwahrheit verschmolz. Sein
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/196&oldid=- (Version vom 22.11.2024)