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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Vierter Band.pdf/197

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Lessingstandbild in Braunschweig, seine Goethe- und Schiller Gruppe in Weimar, sein Lutherdenkmal in Worms haben dem Empfinden der Deutschen für ihre Geisteshelden in vollendeter Weise künstlerischen Ausdruck verliehen. Die von ihm und Ernst Hähnel begründete Dresdner Bildhauerschule, aus der auch Johannes Schilling, der Schöpfer des Nationaldenkmals auf dem Niederwalde, hervorging, hat großes Ansehen genossen. Nicht zu gleicher Höhe vermochte sich die Malerei aufzuschwingen. Aber auf dem Gebiete der zeichnenden Kunst wirkten hier zwei Meister ersten Ranges: Ludwig Richter, ein echter Sohn Dresdens, der gemütvolle Schilderer des deutschen Familienlebens, den seine köstlichen Schöpfungen, in der von ihm neubelebten Kunst des Holzschnitts ausgeführt, zum geliebten Hausfreunde seines Volkes gemacht haben, und Julius Schnorr von Carolsfeld, der hier seine Bilderbibel schuf, ein Werk von edelster idealistischer Kunstweise und tiefinnerlichem Gehalt, dessen Wert von dem Wechsel des Geschmacks unberührt bleibt. So sah Dresden bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein nochmals ein für die Nation fruchtbares Kunstschaffen; daneben entfaltete sich ergänzend das literarische Wirken von Dichtern wie Karl Gutzkow, Berthold Auerbach und vor allen Otto Ludwig. Es ist dann ein Niedergang eingetreten und erst im letzten Jahrzehnt hat sich die Stadt ihren Platz unter den deutschen Kunststätten zurückerobert.

Aber mit dieser Rolle allein konnte sich die moderne Stadt nicht mehr begnügen. Dem Aufschwunge von Handel und Gewerbe, den die Erfolge der Bismarckschen Staatskunst und die Fortschritte der technischen Wissenschaften im neuen Reiche herbeigeführt haben, ist auch Dresden gefolgt. Die Kunst und Fremdenstadt Augusts des Starken ist unter König Alberts segensreicher Regierung zugleich zu einer der bedeutendsten Industriestädte des Landes geworden. Mit dem schnellen Anwachsen der Einwohnerzahl und des Verkehrs haben ihre öffentlichen Einrichtungen Schritt gehalten und sie behauptet heute mit Ehren ihren Rang unter den Großstädten des Reiches.

So sehen wir, wie Dresden im Laufe der Jahr hunderte vieles erlebt und manches geleistet hat, was ihm in der Geschichte der Nation eine Bedeutung gibt. Es bleibt nur zu fragen, wieviel daran die Einwohner selbst Anteil haben. Wenn sie wiederholt in große Ereignisse hineingerissen worden und Zeugen weltgeschichtlicher Katastrophen gewesen sind, so haben sie dabei zunächst zwar nur eine leidende Rolle gespielt, aber bei den ihnen auferlegten Leiden jedesmal doch eine bemerkenswerte Spannkraft gezeigt und es verstanden, den zerrütteten Wohlstand der Stadt verhältnismäßig rasch wieder aufzubauen. Wenn ferner Dresden mehr als einmal ein Ausgangspunkt künstlerischer Kultur gewesen ist, so gebührt das Verdienst daran zwar in erster Linie kunstsinnigen Landesfürsten, aber deren Bestrebungen bedurften zu ihrem Gedeihen doch auch des Bodens im Volke, und dieses hat ihnen nicht bloß die nötigen Mittel, sondern stets auch talentvolle Kräfte genug zu liefern vermocht, die den Anregungen der anfangs meist von auswärts herbeigerufenen Künstler zu folgen und sie selbständig fortzuentwickeln verstanden. Auf dem wirtschaftlichen Gebiete endlich verdankt die Stadt ihr Vorwärtskommen vor allem dem Fleiße und der Genügsamkeit der Bürger, und namentlich der jüngste Aufschwung der Großstadt ist allein ihrer Strebsamkeit und Tatkraft zuzuschreiben.

Bei dieser verdienten Anerkennung darf aber nicht verschwiegen werden, daß der politische Ruf der Dresdner eine Zeit lang nicht der beste war. Zwar in früheren Jahrhunderten hatte auch in ihnen ein starker Unabhängigkeitssinn gelebt; noch als Kurfürst Moritz 1549 die Einverleibung Altendresdens in die Hauptstadt befahl, setzten ihm die Ratsherren des rechtselbischen Städtchens offenen Widerstand entgegen und ließen sich lieber ins Gefängnis werfen, als daß sie gutwillig die Selbständigkeit ihres Gemeinwesens aufgaben. Dieses Selbstgefühl war aber den Dresdnern. später durch die ihnen auferlegten schweren Schicksale und unter dem Drucke, den der in spanischer Etikette erstarrte Hof auf seine Umgebung ausübte, völlig verloren gegangen und es dauerte lange, ehe eine aufrechte staatsbürgerliche Gesinnung wieder in ihnen aufkommen konnte. Wenn freilich Schiller 1788 die Dresdner ein seichtes, zusammengeschrumpftes, unleidliches Volk genannt hat, bei dem der freie edle Mensch unter dem hungrigen Staatsbürger ganz verloren gehe, so darf man vermuten, daß er damals auch von den Bewohnern anderer Fürstenresidenzen keine bessere Meinung gewonnen haben würde. Schildert doch Ernst Moritz Arndt noch 1806 in seinem „Geist der Zeit“ die Masse der Deutschen überhaupt als ein verächtliches Geschlecht, unter dem statt freien Bürgersinnes überall feige knechtische Gesinnung herrsche. In Dresden bestand allerdings einige Berechtigung zu solchen harten Urteilen noch bis lange nach den Befreiungskriegen, ja selbst nach der Mairevolution fort. Noch Heinrich von Treitschke, der große Sohn dieser Stadt, den wir heute mit Stolz den unsern nennen, hat das „schlaffe und schale Philistertum“ der Dresdner scharf gegeißelt. Doch auch darin trat eine Wandlung ein, sobald die Stickluft der Kleinstaaterei durch die Stürme der großen Einigungskriege hinweggefegt war. Mit jedem Jahrzehnt gewann seitdem, gefördert durch die Zuwanderung zahlreicher Angehöriger andrer deutscher Stämme, eine gut nationale und zugleich unabhängige Gesinnung

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/197&oldid=- (Version vom 22.11.2024)