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Darstellung der hl. Teresia von Jesus

Wenn nun der große König, der in der Burg seine Wohnung hat, ihren guten Willen sieht, so will er sie in seinem großen Erbarmen wieder an sich ziehen und läßt sie, gleich einem guten Hirten, durch ein so sanftes Pfeifen, daß sie es kaum wahrnehmen, seine Stimme hören, die sie mahnt, nicht mehr in dieser Irre zu bleiben, sondern in ihre Wohnung zurückzukehren. Dieses Pfeifen des Hirten hat eine solche Kraft, daß sie die äußeren Dinge, in die sie sich verirrt hatten, verlassen und sich in die Burg begeben… Wenn Gott diese Gnade gewährt, ist er der Seele in ganz besonderer Weise behilflich, ihn in ihrem eigenen Innern zu suchen. Dort findet sie ihn weit besser und mit mehr Nutzen als in den Geschöpfen außer sich“.

Man darf nicht etwa denken, „diese Sammlung werde durch den Verstand erworben, indem man sich bemüht, in seinem Innern sich Gott als gegenwärtig zu denken, oder durch die Einbildungskraft, indem wir uns ihn in uns selbst vorstellen… Was ich hier meine, geschieht in ganz anderer Weise, und manchmal finden sich die Sinne und Kräfte der Seele, noch ehe man beginnt an Gott zu denken, schon in der Burg, sodaß man nicht weiß, wie sie hineingekommen sind oder wie sie das Pfeifen ihres Hirten vernommen haben, da nichts davon zu den Ohren gedrungen; denn man hört nichts davon, merkt aber deutlich eine sanfte Zurückziehung in das Innere, wie diejenigen es erfahren werden, denen dies Gebet zuteil wird“[1].

Weil es ganz Gottes Sache ist, ob und wann er eine Seele in die Ruhe versetzen will, warnt die Heilige dringend davor, willkürlich die Tätigkeit des Verstandes und der Einbildungskraft zu unterbinden. Die Kräfte sollen sich durch eigenes Bemühen mit Gott beschäftigen, solange sie ungehindert tätig sein können. Sonst würde die Seele nur in Trockenheit geraten, sie würde sich durch ihre peinliche Anstrengung selbst schaden, die Einbildungskraft und den Verstand erst recht in Aufregung bringen und das „Wesentlichste und Gottgefälligste“ außer acht lassen, „daß wir an seine Ehre und Verherrlichung denken und uns selbst, unseren Vorteil, unseren Trost und unser Vergnügen vergessen. Wie kann aber einer sich selbst vergessen, der so sorglich auf sich acht hat, daß er sich nicht zu bewegen getraut, ja nicht einmal seinem Verstand und seinen frommen Begierden sich zu rühren gestattet, um sich zu freuen über


  1. a.a.O. S. 85 f.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die Seelenburg. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/45&oldid=- (Version vom 31.7.2018)