Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen | |
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126 | 323. Die Nasale. |
z. B. in ano, ital. gn in campagna, auch in der schweizerischen
Aussprache des franz. gn z. B. in compagnon, champagne; das
nordfr. gn ist aber nach Storm² S. 77 (vgl. auch 174) vielmehr
ein mouillirtes halbvelares ꬻ, da seine Articulationsstelle weiter
hinten, an der Grenze des harten und weichen Gaumens liegt.
Jener vordere Palatallaut würde daher als ń¹, der nordfranzösische
Laut aber vielleicht als ń² zu bezeichnen sein. Im Uebrigen
muss auch hier wieder darauf aufmerksam gemacht werden,
dass jede Species zahlreicher Unterabtheilungen fähig ist, je
nachdem die nicht gerade den Verschluss bildenden Theile des
Ansatzrohrs verschiedene Lagerung haben. Am deutlichsten
ist dies beim m, denn bei diesem kann nicht nur die Zunge
ungehemmt dieselbe Reihe von Articulationsstellungen durchlaufen
wie bei den Vocalen, sondern auch die verschlussbildenden
Lippen können noch durch Vorschiebung oder Zurückziehung
u.s.w. auf den Klang des Nasals einwirken (Näheres
s. Cap. 23). Stimmhafte Nasale mit Geräuschbildung können
zwar auch erzeugt werden, aber sie kommen, soweit meine Erfahrung
reicht, nicht vor. Stimmlose Nasale aber sowohl mit
als ohne Reibungsgeräusch begegnen in vielen Sprachen, z. B.
stimmloses spirantisches n im isländ. hn und kn, z. B. in kníga,
knif (Hoffory, Kuhn’s Zeitschr. XXIII, 546 ff.), desgleichen
stimmloses m in der Interjection ''hm (worüber unten 397 Genaueres).
Ohne wesentliches Reibungsgeräusch erscheint dagegen
z. B. das stimmlose engl. n in snow, lent, mint u. dgl.
Die Stärke des Reibungsgeräusches kann auch hier wieder eine
verschiedene sein.
323. Ich habe früher die Existenz stimmloser Nasale geleugnet, indem ich das was oben als ‘stimmloser Nasal’ bezeichnet wurde, früher im Anschluss an die alte Definition der Nasale, welche nur stimmhafte Formen kannte, als einen ‘durch die Nase geführten Hauch’ betrachtete. Ueber die Zweckmässigkeit einer Erweiterung jener alten Definition vergleiche dagegen die ausführlichen Erörterungen von Hoffory a. a. O. Auch die englischen Phonetiker erkennen die Existenz stimmloser Nasale durchaus an.
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/146&oldid=- (Version vom 3.6.2022)