Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen | |
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502. 503. Geräuschreduction. 504. Stellungsreduction. | 193 |
‘Vocale’ einrechnen, namentlich kommen die verschiedenen Modificationen
der velaren und palatalen Spiranten den Vocalen sehr nahe und können
durch noch stärkere Erweiterung geradezu in diese übergehn. Sweet S. 53
stellt nach Bell’s und eigenen Beobachtungen folgende Entsprechungstabelle
auf (durch ¹ bezeichne ich seine ‘innere’, durch ³ die ‘äussere’
Varietät, durch ³ die mittlere Normalarticulation):
ungerundet | gerundet | ||||||||||
ᵹ¹ | ᵹ² | ᵹ³ | j¹ | j² | j³ | ᵹ¹ | ᵹ² | ᵹ³ | j¹ | j² | j³ |
ɐ¹ | a¹ | A¹ | æ¹ | e¹ | i¹ | ɔ¹ | o¹ | u¹ | œ¹ | ø¹ | y¹ |
Reducirtes ð̭ hat nach Sweet den Klang eines dentalen r-Vocals, z̭ den eines stark vorgeschobenen ė¹, ž̭ den eines eben solchen ė¹ mit einer Beimischung von r- Klang, etc.
502. Wäre es sicher, dass überall nur Engenerweiterung bei dem Verlust der Reibegeräusche im Spiele wäre, so könnte man die reducirten Spiranten wohl als überweit gebildet bezeichnen. In ähnlicher Weise bemerkt Genetz, Einführ. 6 ff., dass man an jeder Articulationsstelle erzeugen könne einen Verschlusslaut, eine Spirans und einen Halbvocal; unter den letzteren versteht er eben das, was wir oben als Spiranten mit Geräuschreduction bezeichnet haben. Nach ihm fallen lapp. gh (oder durchstrichenes g), đ und finn. d hierher.
503. Reduction der Geräusche von Verschlusslauten im eigentlichen Sinne können nicht stattfinden, da sonst der Charakter dieser Laute als Verschlusslaute verloren ginge. Doch findet sich bei den stimmhaften Medien eine Erscheinung, welche der Geräuschreduction stimmhafter Spiranten durch starke Kehlkopfhemmung analog ist. Es kann nämlich der Stromdruck der Medien so herabgesetzt werden, dass gegenüber der gleichzeitig ertönenden Stimme der Einsatz oder Absatz des Verschlusses wenig zur Geltung kommt; man hört hauptsächlich nur den stimmhaften Gleitlaut zur Media hin oder von ihr zum folgenden Laute. Dies ist der Punkt, wo sich stimmhafte Spirans und stimmhafter Verschlusslaut berühren. Die Gleitlaute zu oder von ihnen sind ja so gut wie identisch, z. B. bei postdentalem ð oder d, oder ᵹ und g. Es kommt nur auf den kurzen Moment der Einhaltung der Stellung an. Wird die stimmhafte Spirans zum Gleitlaut reducirt (504 ff.) und kommt der Act des Verschlusses und der Oeffnung der Media nicht zu deutlicher Wahrnehmung, so bleibt es oft zweifelhaft, ob in dem Culminationspunkt der Articulation nur eine starke Engenbildung oder eine völlige Berührung stattgefunden hat.
504. Diese trifft am häufigsten unsilbische Sonorlaute vor andern sonoren Lauten. Wir bezeichnen sie durch untergesetztes ˳, z. B. i̥a, u̥a, l̥a, r̥a, m̥a, n̥a. Sie entsteht dadurch, dass die Stimme erst in dem Moment einsetzt, wo der Uebergang zum folgenden Laut bereits beginnt, also bei i̥a, l̥a z. B.
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/213&oldid=- (Version vom 21.6.2022)