Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen | |
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228 | 609. Der Wort- und Satzaccent im Allgemeinen. |
sie bleibt eine Weile auf derselben Stufe stehn, um sich gegen den Schluss
des langen a durch ein jähes Portament ungefähr eine Quinte hinaufzuschwingen:
auf der höchsten Stufe klappen die Stimmbänder plötzlich
zusammen, alle Stimmbildung hört während der dadurch entstehenden ganz
kleinen Pause auf; nach einem Moment öffnen sich die Stimmbänder
wieder, und die Schlusssilbe ler folgt noch auf derselben tiefen Stufe wie
die Anfangssilbe. Auf Wörtern, die in der Tonsilbe kurzen Vocal mit
nachfolgendem tönend-continuirlichen Consonanten (ð, w, j, r u. s. w.)
haben, ist die Modulation dieselbe, nur fällt das aufsteigende Portament
sowie der Glottisschluss auf den tönenden “Consonanten’. — Storm² S. 87
hält indess die musikalische Modulation für freier als Verner angibt.
2. Wort- und Satzaccent.
Cap. 31. Allgemeines.
609. Mit der Behandlung des Wort- und Satzaccents
betreten wir ein Gebiet, das auch die alltägliche Praxis zur
‘Accentuation’ zu rechnen pflegt. Sagte man auch zunächst
wohl nur, in einem Worte wie ἀνήρ habe die letzte Silbe, in
einem Satze wie ‘er sagt es, nicht sie’ haben die Wörter er
und sie ‘den Accent’, d. h. verstand man zunächst unter
‘Accent’ nur die Hervorhebung einer bestimmten Silbe im
Worte oder die eines bestimmten Wortes im Satze, so hat man
sich doch allmählich daran gewöhnt, auch die übrigen Theile
des Wortes oder des Satzes in die Lehre von der Accentuation
hineinzuziehen. Wir verstehen jetzt unter der Accentuirung
eines Wortes die relative Charakteristik aller seiner Silben,
unter Satzaccentuirung die relative Charakteristik aller einzelnen
Theile eines Satzes oder die relative Charakteristik der
einzelnen Sätze gegen einander. Denn zur vollständigen phonetischen
Charakteristik eines Wortes oder Satzes gehört ausser
dem, was bisher über Einzellaute, Lautverbindungen und Silbenbildung
erörtert ist, nicht nur dass man wisse, es sei eine Silbe
oder ein Wort vor den andern in irgend welcher Weise hervorgehoben,
sondern man muss auch wissen, wie und wodurch
diese Hervorhebung geschieht, wie die minder hervorgehobenen
Silben oder Wörter sich unter einander und zu den mehr hervorgehobenen
verhalten und was den einen Satz von dem andern
in charakteristischer Weise unterscheidet.
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/248&oldid=- (Version vom 17.1.2023)