Seite:Eduard Sievers - Grundzüge der Phonetik - 1901.djvu/53

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Diese Seite wurde noch nicht korrekturgelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du auf dieser Seite.
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

98—100. Allgemeine Factoren der Lautbildung. 35


beruhen), dann folgen die Velare, Dentale und schliesslich die Labiale. Bei diesen ist zwar (wie oben beim m gezeigt wurde) das Ansatzrohr selbst sehr veränderungsfähig, aber der Resonanzraum liegt hier hinter der schallbildenden Articulationsstelle und wirkt in Folge dessen weniger stark auf den Klang des Lautes ein.

6. Zusammenfassung.

98. Zum Zustandekommen eines Sprachlauts sind demnach jederzeit drei Factoren erforderlich:

1. Ein arbeitender Druckstrom, dessen wechselnde Stärke und Dauer durch die Thätigkeit der Athmungsmusculatur regulirt wird.

In selteneren Fällen wird eine der Wirkung des Druckstroms analoge Wirkung durch andere Mittel erzielt; so bei den Schnalzlauten (67) durch

Saugen, oder bei den Tenues mit Kehlkopfverschluss (365) durch Compression der Luft im Mundraum ohne Zufuhr von Seiten der Lungen.

2. Eine schallbildende Hemmung dieses Stroms, die nach dem Orte (theils im Kehlkopf, theils im Ansatzrohr, theils in beiden gleichzeitig), dem Grade (Verschluss oder Engenbildung, letztere wieder mehrfach abgestuft), der Dauer und der Stärke verschieden sein kann. Die Stärke der Hemmung richtet sich nach derjenigen des Stromdrucks (vgl. 73 und 90), braucht also im Allgemeinen nicht weiter besonders betrachtet zu werden.

3. Ein Resonanzraum, welcher dem durch das Zusammenwirken von 1. und 2. erzeugten Schall seine specifische Färbung gibt.

99. Alle Veränderungen von Sprachlauten, welche die Sprachgeschichte aufweist, entstehen hiernach entweder durch Veränderungen der Stärke und Dauer des Stromdrucks, oder solche des Grades, des Ortes und der Dauer der Hemmung, oder solche des Resonanzraums, oder Combinationen derselben. Ohne genaue Rücksicht auf diese drei Factoren der Sprachbildung ist also auch eine systematische Betrachtung des Lautwandels nicht möglich.

100. Früher hat man die Lautwandlungen oft nur vom Gesichtspunkt der Veränderungen in der Druckstärke und der schallbildenden Articulation aus betrachtet (z. B. Uebergang von Tenues zu Medien und umgekehrt, oder Wandel von Verschlusslauten zu Spiranten u. dgl.); das weite Gebiet des von den Einwirkungen der modificirenden Articulationen abhängigen Lautwandels hat erst in geringerem Masse eine zusammenfassende Behandlung gefunden. Das Verdienst, auf eine strenge Scheidung

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/53&oldid=- (Version vom 23.5.2022)