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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

34 101. 102. Die Eintheilung der Sprachlaute.


der beiden verschiedenen Articulationsfactoren nachdrücklich und mit voller Klarheit aufmerksam gemacht zu haben, gebührt nach den ersten Anregungen von Heyse S.15 und Merkel Anthrop. 771 namentlich Winteler (Ker. Mundart 5 ff.), auf dessen Angaben die hier gegebene Darstellung wesentlich zurückgeht; nur habe ich schallbildend und schallmodificirend an die Stelle der Winteler’schen lautbildend und -modificirend treten lassen, weil diese zu Missverständnissen Anlass geben können; denn ein Laut, d.h. ein Sprachlaut, entsteht ja eben erst durch das Zusammenwirken von Schallbildung und -modification.

Cap. 5. Die Eintheilung der Sprachlaute.
(Principielle Vorfragen.)
1. Sprachlaute oder Sprachelemente?

101. Als die einfachsten Elemente, aus denen sich die Silben oder Wörter aufbauen, betrachtet man in der Regel das, was man Sprachlaute zu nennen pflegt, und man versteht darunter meist Schälle, die erzeugt werden, während der arbeitende Druckstrom durch eine bestimmte Stellung der der Hemmung und Resonanzbildung dienenden Theile des Sprachorgans geführt wird. Diese Auffassung bedarf jedoch der Ergänzung in mehrfacher Hinsicht. Ein Wort wie ama oder amma besteht, wie man leicht sieht und weiter unter unten Cap. 16 ff. näher ausgeführt werden wird, nicht bloss aus a + m + a, d. h. den Lauten oder Schällen, welche erzeugt werden, während die Sprachorgane fest eingestellt sind, d.h. sich ruhend in der a-Stellung, der m-Stellung und wieder der a-Stellung befinden. Denn auch während sich die Sprachorgane aus der a-Stellung in die m-Stellung u. s. w. bewegen oder gleiten, ertönt die Stimme weiter. Während dieser Uebergangszeit aber erklingt natürlich weder der reine a-Laut, noch der reine m-Laut, sondern zwischen den Anfangslaut a und den Endlaut m schiebt sich eine continuirliche Reihe von Uebergangs- oder Gleitlauten ein; ebenso wieder beim Uebergang vom m zum a, und so überhaupt überall, wo eine Umstellung der Organe während fortdauernder Exspiration stattfindet. Die Sprache besteht daher nicht nur aus einer Reihe unverknüpfter Stellungslaute, wie sie die obige Definition ansetzt, sondern aus einer Kette, in der Stellungs- und Gleitlaute mit einander regelmässig abwechseln.

102. Für das Verhältniss dieser beiden Arten von Lauten ist besonders charakteristisch, dass die Stellungslaute selbständig,

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/54&oldid=- (Version vom 23.5.2022)