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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

72 184—186. Die Sprachlaute nach ihrer Stärke und Dauer.


im Auge zu behalten. Zum Gebiet der ‘Silbenstärke’ rechnen wir alle diejenigen Stärkeunterschiede, welche nur vom Accent und ähnlichen Einflüssen abhängen. Sie sind also erst in der Silbenbildungslehre zu behandeln. Dagegen gehört die Lehre von der Lautstärke schon in die Lehre von den Einzellauten, indem sie über alle diejenigen Stärkeunterschiede zu handeln hat, welche für einzelne Laute an sich charakteristisch sind.

184. Man achte darauf, dass die schweizerischen Fortes an vielen Orten als Geminaten gesprochen werden. In den oben angeführten Beispielen bedeutet aber das ff, ss, chch in gaffe, esse, tsechche durchaus nur einen einfachen, nicht geminirten (555 ff.) f-, s-, ch-Laut. — Uebrigens macht Heusler, Der alem. Consonantismus der Mundart von Baselstadt S. 24 mit Recht darauf aufmerksam, dass stimmlose Lenis und Fortis ihre gegensätzliche Natur oft (wenigstens in der von ihm behandelten Mundart) nur in sonorer (189) Umgebung bewahren. Treten zwei oder mehrere stimmlose Laute zusammen, so erhalten ihre Articulationen eine gewisse mittlere Stärke, kräftiger als die der Lenis, etwas schwächer als die der Fortis. Heusler bezeichnet diese Laute als neutrale.

185. Für diejenigen, welche gewöhnt sind, nur die Qualitätsunterschiede zwischen Tenuis und stimmhafter Media oder stimmloser und stimmhafter Spirans zu erfassen, sind einerseits die Explosivlaute, andererseits die Liquiden und Nasale zur Veranschaulichung des Gesagten am besten geeignet. Man hört in Worten wie Amme im Gegensatz zu ahme oder mahne die grössere Stärke des m ganz deutlich, sobald man nur gelernt hat sich von der durch das Schriftbild erzeugten Vorstellung eines durch mm bezeichneten Doppellauts zu emancipiren. Bei k, t, p: g, d, b achte man auf das Gefühl in den sich berührenden articulirenden Theilen des Mundes; man wird dann ohne Mühe die stärkere Zusammenpressung z.B. der Lippen bei p im Gegensatz zu b erkennen, und von da aus gelangt man zu dem sicheren Rückschluss auf die grössere Stärke des Drucks (vgl. 60). Hat man sich an die gesonderte Auffassung der Explosionsgeräusche gewöhnt, so wird man auch lernen, sich von der geringeren Stärke des Reibungsgeräusches der stimmhaften Spiranten gegenüber den stimmlosen zu überzeugen und nun auch das Verhältniss der ohne Beihülfe des Stimmtons unterschiedenen Fortes und Lenes richtig zu würdigen. — Auf der anderen Seite empfiehlt sich für diejenigen, welche alle Laute mit Geräuschbildung im Ansatzrohr (Geräuschlaute, 189) stimmlos sprechen und also die Beimischung des Stimmtons in stimmhaften ‘Geräuschlauten’ schwer mit dem Gehöre zu erfassen vermögen, die Anwendung des oben 28 näher beschriebenen Auscultationsschlauchs.

2. Dauer.

186. Die Dauer oder Quantität eines Lautes hat an sich keinen Einfluss auf dessen Qualität. Sie kann daher auch nicht zu einem eigentlichen Eintheilungsprincip erhoben werden. Indessen hat man wohl mit Rücksicht auf die Dehnbarkeit oder

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/92&oldid=- (Version vom 23.5.2022)