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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

76 197—199. Sonore und Geräuschlaute.


den ‘Verschlusslauten’ als zusammengehörig betrachten (vgl. oben 107), die Explosion aber in einem Geräusch besteht, so müssen wir die stimmhaften b, d, g vielmehr zu den stimmhaften Geräuschlauten rechnen.

197. Weiterhin ist darauf aufmerksam zu machen, dass auch bei den stimmlosen Dauerlauten eine ähnliche Abstufung stattfindet wie zwischen Sonoren und stimmhaften Spiranten. Bei Lauten wie f, s wird ein deutliches Reibungsgeräusch an der Articulationsenge gebildet; ebenso z. B. bei dem stimmlosen welschen ll oder isländ. hl, 317 (in Deutschland hört man ein solches deutlich spirantisches stimmloses l als Ersatz für sch oft bei Personen, welche ‘mit der Zunge anstossen’). Ebenso stimmlos wie diese Arten des l ist aber auch z.B. das englische l vor und nach stimmlosen Lauten wie in shalt, felt oder flat, pligt u. dgl., nur fehlt das kräftige Reibungsgeräusch. Dies beruht darauf, dass der Luftdruck im Verhältniss zu der Grösse der Ausflussöffnung zu gering (oder umgekehrt die letztere im Verhältniss zur ersteren zu gross) ist, als dass an der Articulationsstelle bez. -enge ein deutliches Reibungsgeräusch erzeugt werden könnte. Das schwache Geräusch, welches man bei diesem l wahrnehmen kann, wird vielmehr durch den Anfall des Exspirationsstroms an die Wände des Ansatzrohrs hervorgebracht. Man muss also hier stimmlose l mit und ohne Reibungsgeräusch oder spirantische und nicht spirantische stimmlose l unterscheiden. Ebenso ist z.B. das englische t nach p und k meist stimmlos und nicht spirantisch, nach t aber spirantisch (303 ff.). Fernere Beispiele für nicht spirantische stimmlose Dauerlaute sind die ‘stimmlosen Vocale’ (282 ff.).

198. Wie man sieht, beruht die Bildung der stimmlosen, nicht spirantischen Dauerlaute wie die der Sonoren auf der Herstellung eines gewissen Gleichgewichts zwischen Oeffnung und Exspirationsstärke. Sie verhalten sich zu den Sonoren wie die stimmlosen Spiranten zu den stimmhaften, und können daher wohl als stimmlose Sonore bezeichnet werden, wenn man mit einer Erweiterung des Begriffs unter Sonoren Dauerlaute ohne Engenreibungsgeräusch versteht.

199. Nach dieser Erweiterung umfassen die Sonorlaute, wie leicht ersichtlich, alle Laute, welche bei der 130 unter 1 aufgeführten Stufe der Mundstellung gebildet werden. Das Wort Sonore bezeichnet das freilich nicht und sollte es von Hause aus nicht bezeichnen, da es ursprünglich bloss als Name für stimmhafte Laute ohne Engenreibungsgeräusch eingeführt wurde, zu einer Zeit, wo die stimmlosen Parallelen dieser Laute in Deutschland wenigstens noch nicht genügend bekannt geworden waren, Da es aber zur Zeit noch an einem brauchbaren Gesammtnamen für

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/96&oldid=- (Version vom 23.5.2022)