Was zunächst die Newton’sche Emissionstheorie betrifft, so ist ja folgendes von ihr allgemein bekannt: Während des ganzen 18. Jahrhunderts herrschte sie unumschränkt. Im Beginn des 19. Jahrhunderts wird sie dann plötzlich durch die Äthertheorie vollständig verdrängt. Es waren bekanntlich sehr gewichtige Gründe, die die Physiker veranlaßt haben, so plötzlich und radikal die Emissionstheorie fallen zu lassen. Wir können diese Gründe an dieser Stelle nicht besprechen.
Die Äthertheorie hingegen gewann allmählich eine geradezu beherrschende Stellung innerhalb der gesamten Physik. Insbesondere seit die Arbeiten von Maxwell und Hertz mit voller Evidenz gezeigt hatten, daß die optischen Erscheinungen nichts anderes sind als ein Spezialfall von elektromagnetischen Erscheinungen: daß die Lichtwellen nichts anderes sind als sehr kurze elektrische Wellen. Denn damit war der Lichtäther zugleich der Träger aller elektromagnetischen Erscheinungen überhaupt geworden.
Innerhalb der Äthertheorie bleiben aber noch fast bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zwei konkurrierende Auffassungen nebeneinander bestehen. Steht der Äther fest oder schleppt jeder Körper den in ihm befindlichen Äther mit sich? Wir wollen von jetzt ab für diese beiden konkurrierenden Theorien abkürzend folgende Bezeichnungen gebrauchen: Theorie des feststehenden Äthers, Theorie des mitbewegten Äthers.
Paul Ehrenfest: Zur Krise der Lichtäther-Hypothese. Springer, Berlin 1913, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:EhrenfestKrise.djvu/8&oldid=- (Version vom 31.7.2018)