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Hunderte von Menschen, jeder wollte zuerst befördert sein, und es war da schon ein kleiner Krieg, bei dem aber die in Baden stets so zahlreich anwesenden Franzosen aus-, nicht einbrechen wollten.

Bald war der glänzende Badeort ganz verödet.

Madame Viardot, sich selbst zum Aufbruche vorbereitend, hatte ihre Kinder nach Wildbad geschickt; Herr Viardot schloß sich voll Groll in sein Zimmer und sprach mit niemandem – es war, als ob ein Wirbelwind alles auseinandergejagt hätte.

So schwer es mir wurde, ich mußte mich doch auch zur Abreise entschließen! Am 18. Juli, Madame Viardots Geburtstag, den wir das Jahr vorher so fröhlich gefeiert hatten, war außer mir keine Schülerin mehr da. Ich studierte trotz allem noch einmal mit der verehrten Meisterin, es war eine trübe Abschiedsstunde! Am 19. fuhr ich ab. Ich hatte schon gefürchtet, einem Umweg durch die Schweiz machen zu müssen, allein die Bahn über München nach Oesterreich war frei. Es kamen uns jedoch viele Militärzüge entgegen; jubelnd sangen die Soldaten zu den Fenstern heraus – wie viele davon verstummten wohl bald für immer! Es war eine aufregende Reise, doch war für mich das einzig Schlimme davon eine starke Zugsverspätung und ein arg beschädigter Koffer.

In München kam ich gerade zurecht, um das „Rheingold“ hören zu können, das Ereignis der Saison. Da sah ich auch den jungen König Ludwig. Schön wie ein Apollo stand er in seiner Loge und lauschte mit Begeisterung den Klängen des damals noch so wenig verstandenen Werkes.

In Berlin aber machte ich dann alle Leiden und Freuden des langen Krieges mit durch! Das Zittern und Bangen der Frauen um ihre im Feld stehenden Männer und Söhne, die Trauer der Angehörigen um die ruhmreich Gefallenen. Dann die Siegesfeste, zu denen wir jedesmal auch im Theater eine Feier hatten, mit Absingen patriotischer Lieder; die vielen Wohltätigkeitskonzerte zum Besten der Verwundeten – alles das erlebte ich als etwas Unvergeßliches, bis es endete mit dem glorreichen Einzuge Kaiser Wilhelms I.

Empfohlene Zitierweise:
Marianne Brandt: Erinnerungen an Pauline Viardot. Neue Freie Presse, Wien 1910, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erinnerungen_an_Pauline_Viardot.pdf/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)