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Vor dem Kriege.

Nach Schluß der Mustervorstellungen in Weimar (1870) reiste ich wieder zu Madame Viardot nach Baden, denn ich fühlte, wie wohltätig mir die Unterweisung dieser wunderbaren Meisterin für meine künstlerische Entwicklung war. Wir gingen diesmal gleich mit Eifer an das Studium Gluckscher Opern, daraus „Klytemnästra“ und „Orpheus“. Letzterer war eine Glanzleistung der Viardot gewesen, sie hatte ihn in Paris seinerzeit hundertmal nacheinander gesungen. Es war ein Genuß, die Rolle mit Ihr bis ins kleinste Detail hinein musikalisch durchzuarbeiten.

Frau Schumann bewohnte auch diesen Sommer wieder ihre Villa in Lichtenthal, und ich freute mich auf das Wiedersehen mit der hochverehrten Frau und Künstlerin. Bei meinem Besuche erhielt ich von ihr den ehrenden Antrag, in einem Konzert, das sie in Kreuznach geben wollte, einige Gesangsnummern zu übernehmen. Nach Einigung mit Madame Viardot und Festsetzung des Programms fuhr ich am 13. Juli mit Frau Schumann zusammen nach Kreuznach, wo wir von einer ihr befreundeten Familie gastlich aufgenommen wurden und sie am 14. ein glänzendes Konzert gab. Ich war stolz auf das Zusammenwirken mit der großen Künstlerin und genoß dankbaren Herzens den engeren Verkehr mit der edlen Frau.

Auf der Rückfahrt, 15. Juli, blieb Frau Schumann in Frankfurt zurück und ich reiste allein nach Baden. In der eine halbe Stunde von dort entfernten Festung Rastatt war ein großes Gedränge auf dem Bahnhof, man sah da mehr Militär als sonst, und auf Befragen erfuhr man, daß Krieg mit Frankreich bevorstehe. Auch in Baden durchschwirrten schon Gerüchte davon die Luft, und die Vorsichtigsten schnürten bereits ihr Bündel. Als es am 16. hieß, vier Regimenter Preußen seien in Rastatt eingerückt, auch Artillerie, war große Panik. Am 17. hörte man, daß die Franzosen von Straßburg aus im Badischen einbrechen wollten, und nun ging eine allgemeine Flucht los. Auf dem Bahnhofe drängten sich

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Marianne Brandt: Erinnerungen an Pauline Viardot. Neue Freie Presse, Wien 1910, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erinnerungen_an_Pauline_Viardot.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)