ohne Zusammenhang. „So ist das!“ wiederholte sie gedehnt: „Ihre Eltern können wohl nicht leben ohne Sie?“
„Daß sie es können, beweisen sie, denn – sie leben.“
„Dann also!“ – Sie sah ihn plötzlich an; eine Wolke voll drohenden Ernstes war auf seiner Stirn aufgestiegen; ein Zug bitteren Schmerzes spielte um seine fest zusammengepreßten Lippen, ein Schmerz, dem Zorne gar nah verwandt und gewiß bereit, sich als solcher zu äußern … Thekla ahnte, wußte es, und dennoch! zum ersten Male war es nicht Furcht, was sich in ihr regte, als sie in sein verfinstertes Gesicht blickte, sondern die halb unbewußt erwachende, echt weibliche Lust an einem Kampfe, in dem alle Mittel gelten, an dem Kampfe mit dem Stärkeren – dem Manne.
Ei, dachte sie – du willst mich strafen, willst mir zeigen, daß du unabhängig bist und mich verlassen kannst, wann es dir gefällt? …
Sie verschränkte ihre Arme über dem Pulte, beugte sich vor und drückte ihre Wange auf ihre Hand, während ihr Auge sich zu ihm erhob, der sie liebte.
„Bleiben Sie bei uns,“ sprach sie, hielt inne, schien zu überlegen und fügte endlich leise wie ein Hauch, aber mit holder Entschlossenheit hinzu: „Bei mir!“
Sein Blick glitt über ihr demüthig gesenktes Haupt, über den jungen, schlanken Nacken, die königlichen Schultern, über die ganze, vor ihn hingegossene Gestalt, und alle süßen Schauer bewunderungstrunkener Liebe durchzitterten
Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 358. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/364&oldid=- (Version vom 31.7.2018)