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gelebt. Und ausserdem hat die Forschung über die einzelnen Märchen festgestellt, dass das volkstümliche Märchen gewöhnlich eine ältere Märchenform repräsentiert als die indischen oder beliebige andere literarische Bearbeitungen und dass der Forscher darum sein besonderes Augenmerk auf das volkstümliche Märchen zu richten hat.

Was wiederum die anthropologische Theorie anbelangt, enthält sie unbestreitbar viel Anregendes und theoretisch wohl Durchdachtes, und auf bestimmten Forschungsgebieten hat sie ohne Zweifel eine grosse Bedeutung, aber die Frage nach dem Ursprung der Märchen ist sie nur in sehr geringem Masse imstande zu beleuchten. Es ist zwar möglich, dass bei den Völkern, die im Naturzustande leben, ähnliche Gedanken und Phantasiebilder entstehen. Das Gefühl von dem Unterschied zwischen dem Menschen und dem Tiere ist z. B. so unbestimmt, dass man den Menschen selbständig in verschiedenen Gegenden in einen näheren Zusammenhang mit dem Tiere, ja sogar mit einem leblosen Gegenstand setzen kann, er wählt ein Tier zu seiner Gemahlin, man denkt sich den Übergang der Seele aus dem Menschen irgendwohin usw., aber von hier ist es noch ein weiter Weg zu den Märchen. Die Märchen sind keine primitiven Vorstellungen und Phantasiebilder, und die Übereinstimmungen zwischen den Märchen der verschiedenen Länder beschränken sich nicht auf einen solchen Zug allgemeiner Art, sondern erstrecken sich, wie in der Besprechung der grimmschen Ansichten schon erwähnt wurde, einerseits auf Einzelheiten der Erzählung, bisweilen sogar auf den Ausdruck und andererseits auf das Ganze der Erzählung. Eine derartige Übereinstimmung kann nicht so entstanden sein, wie sie die anthropologische Ansicht erklärt. Nehmen wir einige Beispiele. Wie wäre es möglich, dass aus der ähnlichen primitiven Denkart und Phantasie der Naturvölker folgte, dass z. B. in dem Zauberringmärchen sowohl in Indien als in Finland die zu tötenden Tiere, Katze und Hund,

Empfohlene Zitierweise:
Antti Aarne: Leitfaden der vergleichenden Märchenforschung. Suomalaisen Tiedeakatemian Kustantama, Hamina 1913, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FFC13.djvu/13&oldid=- (Version vom 31.7.2018)