Semester hören müssen, die Unentgeltlichkeit der Wohnung, des Unterrichts und das Taschengeld. Aber während in der Berliner Anstalt diejenigen Vorlesungen, welche nicht zum medicinischen Studienplan gehören, aus der Tasche der Stipendiaten selbst bezahlt werden müssen, oder genauer gesagt, überhaupt nicht gehört werden, gehen solche in Tübingen gleichfalls auf Staatskosten, nur dass auch hierin eine gewisse wenn auch keineswegs gewaltsame Empfehlung und Beeinflussung stattzufinden pflegt.
Weit strenger aber ist die Bewachung des Individuums im Tübinger Stift. Nicht nur sitzt an der Klosterpforte ein Argus, welcher hundertäugig jeden Ein- und Ausgang bewacht, so dass auch das Schwänzen der im Stift selbst abgehaltenen Vorlesungen nur mit Schwierigkeiten und List zu bewerkstelligen ist, sondern die ganze Tageszeit ist für den Stiftler streng eingetheilt, indem er den grösseren Theil der Stunden zum Arbeiten, den kleineren zum Ausgehn hat, unter allen Umständen aber um 10 Uhr Abends zu Hause sein muss, wenn er nicht ausdrücklich um Urlaub bei der Stiftsbehörde eingekommen ist. Sagenhaft ist wohl nur die Notiz, dass auch gegenüber dem Universitätsgebäude eine Wache aufgestellt ist, welche besonders bei den um 7 Uhr und 8 Uhr Morgens stattfindenden Vorlesungen genau beobachtet, ob diejenigen Studenten, welche sich um diese Zeit aus dem Stift entfernt haben, auch wirklich zu den Vorlesungen gehen, oder statt dessen einen
Hans Flach: Der deutsche Professor der Gegenwart. Leipzig 1886, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Flach_Der_deutsche_Professor.djvu/189&oldid=- (Version vom 18.8.2016)