weit unvollkommener, dass sie offenbar auf den Charakter der Jünglinge einen sehr ungünstigen Einfluss ausübt. Der Berliner Stipendiat büsst nichts von seiner Freiheit ein, und es dürfte allgemein bekannt sein, dass zahlreiche Schüler der Pepiniere sogar sehr flotte Corpsstudenten gewesen sind. Der Stiftler bleibt nicht nur durch den schülerhaften Zwang, dem er sowohl in dem Besuch der Vorlesungen wie in der Tageseintheilung unterworfen ist, sein ganzes Leben hindurch unfertig und nicht selten unreif, sondern sein Charakter bekommt auch dadurch, dass er das geringste, wie jeden Ausflug, Besuch, Abendausbleiben nur durch List und Schlauheit erreichen kann, etwas Verschlagenes und Arglistiges, Züge, die auch dem frei erzogenen und ehrlichen Norddeutschen sehr widerlich sind und antipathisch wirken, besonders da sie gewöhnlich verbunden auftreten mit dem allen Schwaben in gleicher Weise angeborenen Misstrauen. Schon aus diesem Grunde hätte die württembergische Regierung längst an eine Reformirung des Stifts herantreten sollen.
Beiläufig verdienen auch die auf Staatskosten unternommenen wissenschaftlichen (im Stipendium mit eingeschlossenen) Reisen der älteren Stiftler eine Besprechung. Gewöhnlich gehen nämlich die jungen Herren nach Rom, um sich ein halbes Jahr hindurch in guter Gesellschaft zu amüsiren, oder nach London, wo sie dann einen Bericht an den Oberstudienrath über Bettelei, Proletariat u. s. w. machen, und einen
Hans Flach: Der deutsche Professor der Gegenwart. Leipzig 1886, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Flach_Der_deutsche_Professor.djvu/195&oldid=- (Version vom 18.8.2016)