Denn das schien allen einleuchtend zu sein, dass, wo die Spontanität des einzelnen geweckt, die Selbständigkeit des Denkens und Forschens angeregt werden sollte, ein Seminar nicht einer Gymnasialklasse gleich behandelt werden dürfe, in welcher neben guten Schülern eine Anzahl ganz mittelmässiger oder unbrauchbarer und die übrigen im Vorwärtskommen nur aufhaltender Elemente sich zu bewegen pflegt. Dass ein akademisches Seminar ein solches Contingent nicht zu besitzen nöthig habe, das war schon bedingt durch das Wesen der akademischen Freiheit, gemäss welcher kein Professor verpflichtet ist, mit unbrauchbarem Material seine Zeit und Mühe zu vergeuden.
Jene Seminare waren also selbstverständlich klein, und die Zahl ihrer Mitglieder war fixirt, so dass sie zwischen 6 bis 10 oder 12 zu schwanken pflegte. Während aber diese Mitglieder als ordentliche Mitglieder galten und so genannt wurden, kamen gleichzeitig auch einige Stellen für ausserordentliche Mitglieder auf, gewöhnlich 4–6, in welchen die einzelnen so lange verblieben, bis eine ordentliche Stelle frei wurde.
Es ist begreiflich, dass die Annehmlichkeit und der grosse Nutzen den der einzelne Student davon hatte, wenn er in einem derartigen Seminar thätig gewesen war, einen grossen Andrang zu den Seminarstellen hervorbringen mussten, so dass diesem von vorne herein dadurch vorgebeugt worden war,
Hans Flach: Der deutsche Professor der Gegenwart. Leipzig 1886, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Flach_Der_deutsche_Professor.djvu/200&oldid=- (Version vom 18.8.2016)