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Die ehrsame Zunft der Steckenreiter.
(Fortsetzung.)



Der Landwehrhauptmann.

Seines Zeichens ist er ein Bader; seiner Leidenschaft nach durch und durch Militär. Während der letzten Freiheitskämpfe war er Feldscherer, dann führte ihn das Schicksal einer Baderswittwe in die Arme. Ein unbestimmtes Gefühl sagt ihm, daß er sich die Freiheit nicht erkämpft habe. Nach der Reorganisation der Landwehrmiliz ward er in Folge seiner Kriegserfahrungen zum Hauptmanne derselben erwählt. Sofort übertrug er das Geschäft des Bartabnehmens seiner Ehehälfte, und verlegte sich ausschließend auf die Kriegswissenschaft. Was in diesem Fache geschrieben wird, läßt er – wenn auch unbegriffen – doch nicht ungelesen. In unbelauschten Stunden aber öffnet er ein geheimes Fach seines Baderkästchens, nimmt ein Regiment hölzerner und bleierner Soldaten aus demselben, läßt sie in ganzen und halben Zügen defiliren, Wendungen machen, Carré bilden, zum Angriff blasen, und auf irgend einen unschuldigen Gegenstand einen Sturm wagen, der denn auch unter seiner Anführung selten mißglückt. – In letzterer Zeit hat sein ehelich’ Gemahl, blos, um ihn in Uebung zu erhalten, seiner Leidenschaft den Krieg angekündigt, der voraussichtlich lange dauern mag; denn diesem Feinde gegenüber verläßt ihn wunderbarer Weise allzumeist sein Feldherrntalent! – Wenn du gerade nach seiner Freundschaft lüstern sein solltest, brauchst du ihn nur „Herr Hauptmann“ zu tituliren. –





Die Geognostin.


Das ist die mächtigste Wirkung der Wissenschaft, daß sie in’s Leben greift, und mit der Zeit den Strickstrumpf verdrängt. Seitdem Professor Leonhard durch sein Lehrbuch die Geologie populär gemacht, und Dr. Hauff seine geologischen Briefe in die Augsburger Allgemeine drucken ließ, hat auch das zarte Geschlecht angefangen zu lernen, wie man den Berghammer handhabt, und welch ein Unterschied sei zwischen einer hexagonalen Pyramide und einer Kartoffelsuppe. Man spricht von einem weiblichen Lehrstuhl, welcher auf der Universität Y für dieses Fach errichtet wird. – Auf unserem Bilde begegnen wir solch einer Freundin der Geognosie. Sie hat von Karlsbad aus, einen Ausflug in’s Gebirge gemacht, von ihrem alten Ehegatten und einem jungen Naturforscher begleitet. Während sich Ersterer auf Befehl seiner schönen Hälfte mit einem antediluvianischen Hirschgeweih[1] abschleppt, das ihm während der Partie unvermuthet in den Weg kam, setzt dieser mit der gelehrigen Freundin die naturhistorischen Studien auf’s Eifrigste fort, und sie kann nicht umhin, über die Loupe weg beständig auf ihn hinüber zu schielen, um ja kein Wort aus seinem Munde zu verlieren. Ihre Forschungen drehen sich gerade um einen fossilen Mammutsknochen, und die Schülerin fragt eben mit der liebenswürdigsten Naivität, ob nicht etwa die Mammutsknochen von den Mamelucken abstammen, oder umgekehrt?


  1. Anm. Wir entnehmen hieraus die Bestätigung der oft widerstrittenen Behauptung, daß Hirschgeweihe schon vor der Sündfluth existirten.


Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/122&oldid=- (Version vom 28.5.2019)