Tage eine neue Versammlung, resp. Festessen, in Antrag bringe, wobei das Comité sich der angenehmen Pflicht entledigen wird, über seine Vorarbeiten den Theilnehmenden Rechenschaft abzulegen!“ Man kann sich denken, mit welchem allgemeinen Jubel, mit welcher nur zu gerechten Zustimmung dieser Antrag auf ein abermaliges Zweckessen begrüßt wird. Aber auch diesem zweiten Zweckessen wird noch ein drittes, ein viertes, fünftes u. s. f. folgen, da das Comité immer wieder Bericht zu erstatten oder wohl auch in einzelnen Fällen ein außerordentliches Zweckessen anzusagen hat. Und wie nun gar, wenn das Ehrenstandbild wirklich zu Stande kommt! Man hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß auch die jedesmalige Reinigung einer solchen Bildsäule zu einem Festessen eine sehr geeignete Gelegenheit bieten würde. Welche feine Wendungen, welche Ideenassociationen knüpfen sich nicht in mannigfachster Hinsicht an das bloße Wort „Reinigung“! Endlich lassen sich die Zweckessen noch auf die einfachste Weise in’s Unendliche vervielfältigen, wenn jedes neu erfundene Zweckessen in jedem nächsten Jahre als Erinnerungsfest an dem betreffenden Jahrestage wiederholt wird. Angenommen: es wären in dem ersten Jahre nur 12 Zweckessen gefeiert worden, so gibt dies im nächsten Jahre allein zwölf Erinnerungszweckessen; es werden aber bei einiger Aufmerksamkeit auf denkwürdige Personen und Ereignisse im Laufe des nämlichen Jahres noch zwölf neue Zweckessen hinzukommen; das gibt für das nächste Jahr schon 24 Erinnerungszweckessen, die man auch wohl Zweck-Zweckessen oder Zweckessen-Zwecke nennen könnte, wozu mindestens abermals zwölf neue Zweckessen kommen, und so jedes Jahr in einfacher Progression fort. Es liegt auf der Hand, daß zuletzt kein Tag ohne Zweckessen und Essenszweck verstreichen kann, und die Theilnehmenden dann mit Recht von sich werden sagen können: sie hätten nicht umsonst gelebt, denn sie hätten ihr ganzes Leben durch nie ohne Zweck gegessen und nie etwas ohne Essen bezweckt.
Da jedes weltgeschichtliche Ereigniß Anspruch darauf hat, durch ein Erinnerungsmahl gefeiert zu werden, so läßt sich ohnehin jeder Tag durch ein Zweckessen besetzen. Die Einführung der Censur oder der Inquisition oder der Hexenprozesse, die Entdeckung Sibiriens, die Erfindung der Knute oder des Spießruthenlaufens – alle diese schönen Dinge haben so gut ihre Verehrer wie die Preßfreiheit, von der wir träumen, wie von der künftigen deutschen Flotte und noch andern Dingen, die wir hier nicht nennen können. Ausserdem ergreife man jede vorübergehende Gelegenheit am Schopfe, z. B. einen durchreisenden berühmten Virtuosen, die Anwesenheit eines gefeierten politischen Dichters oder eines modernen Religionsstifters – denn ohne Zweckessen kann bei uns eine neue Religion nicht in’s Werk gesetzt werden – den Besuch eines spanischen Bildhauers oder französischen Malers. In letzterm Falle müssen alle diejenigen Zweckesser requirirt werden, welche sich aus dem Meidinger oder Mozin einige französische Phrasen gemerkt haben; auch ist von der französischen Höflichkeit zu erwarten, daß der gefeierte Fremde dem Vortrage eines deutschen Festgedichts, obschon er davon kein Wort versteht, sein Gehör schenken und seinen Beifall nicht versagen wird. Er wird während des Vortrages gnädigst seinen Kopf schütteln, er wird für die in dem deutschen Gedichte ausgesprochenen Gesinnungen seinen Dank ausdrücken und schlüßlich äußern, daß er von dem Gedichte um so mehr erbaut und gerührt sei, je weniger er davon verstehe. Unter andern wird er vielleicht in seiner Dankrede sagen: „Meine Herren! Man hat uns häufig die Deutschen als grob, unhöflich und plump geschildert; nachdem ich jedoch die Deutschen in ihrem eigenen Lande kennen gelernt, muß ich diesem Vorurtheile widersprechen, und gestehe mit Freude, daß es kein höflicheres, den Franzosen geneigteres Volk gibt als das deutsche. Selbst die wenigen deutschen Vocabeln, die ich mir zum täglichen Gebrauch auswendig lernte, kam ich anzuwenden nie in Verlegenheit, da ich überall Leuten begegnete, welche ihr Französisch sprachen oder wenigstens radebrechten. Wo ich eine Theatervorstellung besuchte, gab man mir aus überzarter Höflichkeit eine Uebersetzung oder Bearbeitung aus dem Französischen zum Besten. Auf den Paradetischen der Damen legte man mir zu Ehren die Oeuvres von Eugen Sue und Georg Sand aus; man sprach mit mir von Rousseau und Voltaire statt von Göthe und Schiller.“
„Je vornehmer die Cirkel waren, in die man mich aufnahm, desto mehr erinnerten mich Meubles, Kleidung und Sitte an die Metropole der europäischen Civilisation, an Paris. In den Schaufenstern der Buch- und Kunstläden erblickte ich die neuesten Erzeugnisse der französischen Kunst, Literatur und Musik. So bin ich auf den Gedanken geführt worden, daß Deutschland eigentlich ein Departement von Frankreich sei, und wohl darf Frankreich von Deutschland erwarten, daß dieses das Maaß seiner Höflichkeit vollmachen und uns fürs erste mit der freiwilligen Abtretung der Rheingrenze erfreuen werde. Alles Uebrige bliebe dann uns überlassen. Das höfliche und vorurtheilslose Volk der Deutschen lebe hoch!“
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/143&oldid=- (Version vom 21.5.2018)