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ist sie auch aus; denn wir bitten dich inständigst, so wie das der Fall ist, so höre zu lesen auf.



Jetzt tritt in unserer Geschichte eine neue, interessante Figur auf: ein dicker, dummer, reicher Engländer, welcher sich seit frühester Jugend langweilt, und jetzt auch aus langer Weile nach Hamburg gefahren ist, nachdem er den ganzen Sommer sich in Norwegen mit Fischangeln gelangweilt hat. In demselben Jahre, an demselben Tage, um dieselbe Stunde, wo sich obenerzähltes Sitzen des jüngern Melchior ereignete, saß gleichfalls am Hafendamme zu Hamburg auf seinem Gepäcke der Lord Nothingnix; um ihn her standen: ein eiserner Spiritus-Schnell-Ofen, ein Beefsteack-Brat-Thee-, Koch- und ganzer Leib-Wasch Apparat, kurz alle jene Erfindungen, durch welche heut zu Tage ein Reisender trotz Eisenbahnen und Gasthöfen sich die Sache eben so schwer machen kann, als ob wir 1245 schrieben. Nachdem sie sich lange angeschaut hatten, sprach Lord Nothingnix: Was machst du Bursche?

Jakob Melchior junior:     Was macht ihr, Herr?

Lord.     Ich langweile mich.

Junior.     Ich langweile mich nicht.

Lord.     God dam. Da soll ich nun Packträger rufen, in den Gasthof gehen, Essen, Schlafen, immer das alte Lied. Ich wollte, ich wüßte etwas anzustellen, das mich nicht langweilte.

Junior.     Ich wollte, ich wüßte etwas anzustellen, das mich langweilte.

Lord.     Ich suche einen Diener, der meinige ist mir davon gelaufen, weil ich ihn unter Weges aus langer Weile täglich geprügelt habe. Willst du mein Diener sein?

Junior.     Ist es langweilig?

Lord.     Bis jetzt haben es noch alle meine Diener gesagt. Ich halte mir elf Diener und habe nicht für zwei zu thun. Also wenig Arbeit, wenig Lohn, wenig Essen und viele Schläge.

Junior.     Topp ich wills probiren.

Also wurde Jakob Melchior junior der Diener des Lord Nothingnix, und ging mit ihm auf die Reise, um die Langeweile kennen zu lernen.



Ende des ersten Kapitels.


Zweites Kapitel.

Als sie eine Station weit gefahren waren, stieg der Lord aus dem Wagen, um sich, wie er sagte, nach dem langweiligen, ewigen Sitzen und Schlafen einmal wieder die Beine auszutreten.

Junior kam aber vom Bedientensitz heruntergehupft ausser sich vor Freude über das prächtige Leben; so bequem im Schlafe sich die Welt besehen, Menschen und Länder kennen lernen, im Lehnstuhl und wenn’s gar nicht mehr möglich war, noch mehr des lieben Schlafs zu genießen; wie ein großer Herr im prächtig gallonirten Rocke, die Tasche voll Geldstücke, ins Wirthshaus treten, wo alles auf den leisesten Wink fliegt, und Essen und Trinken die Hülle und Fülle, und von der besten Sorte!! – Es war herrlich! –

Juhe, rief er! wenn man da nur gar nicht zu sterben brauchte, besser kann's im Himmel selbst nicht seyn! das begreife ich nur nicht, warum sich mein Geldkasten noch nicht geöffnet hat; denn wenn das nicht ein gescheidter Streich von mir war, daß ich so mit dem Lord auf die Reise gegangen bin, so werde ich gewiß in meinem ganzen Leben keinen gescheidten Streich zuwege bringen; bei diesen Worten wollte Junior gerade einen seines Sieges im Voraus gewissen Angriff auf eine kalte Repphuhnpastete machen, welche der Wirth in der Geschwindigkeit herbeigeschafft hatte, als ihn auf einmal sein Lord beim Kragen packte.

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/183&oldid=- (Version vom 2.4.2020)