die Sonne bereits hinter den Firnen verschwunden. Alles still im weilen Umkreise, man hörte jede Welle an die andere schlagen und hinziehen durch's Geröhricht am Ufer. Da schien es, als bräche ein rother Schein durch den Nebel, ein eigener, zitternder Glanz, nicht wie die Abendröthe, die bereits dem Dunkel gewichen war. Einzelne Töne klangen aus nächster Ferne. Der Alte fühlte sich wie von geheimen Schauer ergriffen.
Es waren bekannte Stimmen, die ihm der Wind entgegen trug. Die Felsenwände mit ihren dunklen Tannen und Kiefern traten näher; er konnte sie unterscheiden trotz der unbestimmten Formen, welche sie im Nebel annahmen, und sie erweckten in ihm ängstliche Erinnerungen an bekannte Plätze. Da hörte er das Lied singen von den wahrsagenden Nachtigallen am Brunnen, die schön' Sidselills Tod kündeten ihrem Liebsten, ganz in jener wundersamen Weise, wie sie Adelin ihm gelehrt hatte, und unter seinen Füßen, so weit er sehen konnte, dehnten sich die Elfenringe aus. Wie im Fieberfroste zitterten ihm die Kniee. – Sein Sohn – sein einziges Kind – hatte er nicht deutlich Nils Stimme vernommen? Klang nicht das Lied von den wahrsagenden Nachtigallen wie ein prophetischer Sang? Er wollte rufen – die Stimme versagte ihm. Jetzt brach der Mond durch den sinkenden Nebel, und beleuchtete die Stelle vor ihm. Ein dumpfer Angstschrei rang sich los aus seiner Brust. Adelin – – sie war es, – dieselbe, welche auch ihn einst zur Liebe verlockt, – dieselbe, deren Spruch den Tod brachte über seine Mary, – und Nils, sein Nils in ihren Armen! – Erschrocken fuhr dieser empor, und als er seinen Vater gewahrte, bleich und bebend, das fahle Gesicht vom Mondlicht beleuchtet, die Haare flatternd im feuchten Nachtwinde – da stürzte er lautlos zusammen!
Aber wie bitterer Hohn lag es auf den Zügen der Elfendirne. Sie hatte ihre verschmähte Liebe gerächt, und wie damals auf der Felsenkuppe, so schimmerte ihr schneeiges Gewand und wehte ihr weißer Schleier im Winde, und mit den Armen den Hervorstürzenden abwehrend, sang sie nach der alten Weise:
Du hast mir gebrochen die Lieb und Treu,
Hast ein fremdes Bräutlein umschlungen.
Und nach zwei Wochen und aber nach zwei
Und aber nach zwei,
Da liegt die Mutter beim Jungen!
Alsdann zerrann sie, wie die Wolke vor dem Sonnenlichte. Der Alte aber schleppte seinen Sohn heim, der an einem schlimmen Fieber dahin siechte, und nach vier Wochen grub er ihm ein Plätzlein aus neben seiner schlanken Mary. –
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/41&oldid=- (Version vom 31.7.2018)