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das Heimweh, und wuchs in ihm mit dem zunehmenden Monde. Als nun der Mond voll war, nahm er sich ein Herz, überwand die geheime Scheu vor den allenfallsigen Spottreden, so ihm die leinewebende Sippschaft bei der unvermuthet schnellen Rückkehr würde angedeihen lassen, und lenkte seine Schritte wieder heimwärts der weiland freien Reichsstadt zu, deren Weichbild den ganzen Gesichtskreis seiner Wünsche umschloß.

Wie’s der Himmel fügte, so fand er gute Gesellschaft zur Heimreise. Ein Tischlergeselle aus Magdeburg schloß sich ihm an, der, wie er sich äußerte, sein Felleisen bereits dem Boten mitgegeben, da es ihm bei der großen Schwüle zu hart am Rücken lag. Solchergestalt konnte er leichter fürbaß wandern, wozu auch sein fadenscheiniges Röcklein nicht wenig beitrug, welches dem Luftzuge freien Spielraum gestattete. Zudem prangte dasselbe in allen Farben der deutschen Bundesstaaten, die er bereits am Knüttelstocke durchmessen, und gab ihm ein lustiges, weltbürgerliches Aussehen. Zwar wollte dieß dem Schwaben Anfangs nicht recht zu Sinne stehen, und es dauerte eine geraume Weile, ehe ihm die Gesellschaft behagte; aber der Magdeburger war ein fideler Bursche, der sein Theil in der Welt gesehen und bei manchem Meister gedient hatte, konnte auch leichtlich mit der Sprache fort, denn so etwas lernt sich auf der Wanderschaft, die er nun, wie er sagte, in’s zwölfte Jahr trieb. So erzählte er manch’ spaßhaften Schwank, den er erlebt, oder sang ein lustiges Liedl nach der Melodie:

Zu Straßburg in der schönen Stadt
Hat mich ein Mädigen lieb,

oder:

O du schöne Stadt Paris,
Wo ich die Herzeliebste ließ,
 So süß,

Mein Mädigen süß und auch von Wuchs,
Sie hat zwei Aeuglein wie ein Luchs u. s. w.

Der Leineweber lachte dagegen sein gut Theil, oder vergalt, hie und da, das Erzählte mit einem Kapitel aus der Chronik der Stadt Memmingen und den Erlebnissen der wackern Lohgärber und Leimsieder, so daselbst ihre Werkstätten aufgeschlagen. Dabei bot er dem Kameraden von dem Inhalte seiner Schnapsflasche brüderlich an, und dieser gab ohne viel Zuredens herzhaft Bescheid.

Nun war aber desselbigen Tages eine arge Hitze, und der Staub legte sich gar sehr auf die Lunge, so daß bei dem wackern Zuspruch des Tischlergesellen das Fläschlein des Schwaben wider Vermuthen leer wurde, ehe sie kaum die Hälfte des Weges nach Heidelberg zurückgelegt hatten.

Es ist eine alte Wahrheit, daß der Mensch das Glück nicht achtet, so lange er’s in der Tasche trägt. Er hört noch lächelnd zu, wenn es ihm Valet sagt, und erst da er es aus den Augen verloren, schilt er sich selbst ob seiner Thorheit. Just also erging es dem gutmüthigen Schwaben. So lange noch ein Tröpflein am Glase hing, genügte ihm das Bewußtseyn, daß ihm das Durststillende Mittel nicht fehle. Als aber der Magdeburger die Flasche bis auf den Grund geleert hatte, da überkam ihn erst das peinliche Gefühl seiner trockenen Kehle. Er seufzte nach einem Labetrunk, wie weiland die Israeliten in der Wüste, aber der Sonnenbrand hatte die Quellen auf eine Meile Weges im Umkreise versengt, und ihm fehlte der Mosesstab und das Felsengestein, daraus er Wasser hätte hervorlocken können. Der Tischlergeselle hingegen schien es gerade darauf angelegt zu haben, seinem Weggenossen den traurigen Mangel recht fühlbar zu machen. Wie diesem der Durst mit jedem Schritte wuchs, so nahm hinwiederum des Preussen Redseligkeit zu, und er erzählte ihm von seinen Wanderungen am Rhein und im Elsaß, und wie er dort Elfer getrunken habe von allen Sorten, und Vierunddreißiger die Hülle und Fülle um einen Spottpreis. Denn die Wirthe daselbst wären froh, wenn sie ihn losbrächten, ehe er ihnen sauer würde. Als er aber von Aachen anfing, und wie ihm, als Landeskind und nächstem Vetter, der Domkellermeister in Liebfrauenmilch Bescheid gethan aus großen Baßgläsern, wie es im Schwabenlande etwa mit Scheps oder Kartoffelfusel geschähe, da bat ihn der Leineweber inne zu halten, falls er nicht wollte, daß ihm der Durst die Kehle verbrenne.

Es stand auch die Sonne gerade senkrecht über den Scheiteln der Handwerksburschen, und beide konnten nicht umhin, unter dem Schatten eines Apfelbaumes im Straßengraben Mittagsrast zu halten. Der Schwabe legte sich der Länge nach auf den Rasen, zog die Mütze über das Gesicht herein, um sich vor den leidigen Strahlen zu schützen, und wickelte die Tragriemen seines Felleisens um den Arm. Sein sprachlustiger Kamerade aber, wie er sich vorher in seligen Erinnerungen ergangen, bemühte sich nun, dem lüsternen Webergesellen

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)