Seite:Fliegende Blätter 1.djvu/7

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die nächste Zukunft so freundlich als möglich auszumalen, so daß diesem schon der Mund wässerte nach einem Schoppen Neckarwein. Als er sich hierüber ausließ, verwies ihm der Magdeburger solch allzubescheidenes Begehr, sintemal sie sich heute Abend selbander ein tüchtig Bene thun wollten am Heidelberger Fasse.

Nun hatte der Schwabe vom Heidelberger Fasse schon gar mancherlei reden hören, und mochte gar zu gerne genaue Kunde haben, was eigentlich an der Sache wäre. Das war Oel in’s Triebrad, und der Tischler fing ungesäumt ein Langes und Breites an, wie dieses Faß wohl kaum ein Paar Klafter niedriger wäre, als der Dom in Ulm, den er doch wohl kenne, oder der Münster in Freiburg, so daß auf seinem Spundloche eine Dorfgemeinde gar leichtlich den Kirmeßreigen tanzen könne, ohne just eine Deiche zu berühren. Die Länge desselben müße man nach Lachtern messen, und die Eisenreife, welche den Riesenbau zusammenhielten, hätten gut Ding die Stärke, daß ein Weberstuhl d’rauf Platz hätte zusammt dem Weber. Seit undenklichen Zeiten woge in seinem Bauche ein Meer jenes köstlichen Weines, welchen der Herbst an dem Neckargelände zeitige.

Im dreißigjährigen Kriege, als Tilly Heidelberg eroberte, blos weil es immer gut preussisch gesinnt gewesen, habe dieser aus purem Hasse gegen die Lutherischen des Fasses Boden einschlagen, und die halbe Stadt damit unter Wein setzen lassen. Seit dem Tage der Sündfluth sei die edle Gottesgabe nicht so vergeudet worden, als dazumal; Menschen und Vieh nicht gerechnet, so darinnen umgekommen. Zu allem Glücke sei kurz hierauf der König von Schweden, Gustav Adolph gottseligen Angedenkens, in die Stadt eingerückt, habe die Kaiserlichen vertrieben, alsbald den Boden wieder einsetzen und das Faß selbst wieder auffüllen lassen mit frischem Moste, welcher bisher gar wohl gegohren, und seit jenen Tagen – ein unerschöpflicher Quell – allen durstigen Seelen fließe, die Heidelberg passirten. Die leutseligen, gastfreundlichen Bürger der frommen Stadt seien auch gerade nicht engherzig und zurückhaltend mit ihrem Schatze, und der Schloßkellermeister habe Auftrag, den Zapfen wacker zu drehen, wenn ein Gast zuspreche, insonders ein preussisches Landeskind. Wer da wolle, dem bleibe es auch unverwehrt, sich rücklings unter den Hahn zu legen, daß der gesegnete Trunk ihm aus erster Hand in die Kehle dufte, und – – und – –

Dem Schwaben vergingen die Sinne. Solch verlockendes Bild des Ueberflusses bei solchem Mangel, – das machte ihm den brennenden Durst erst unerträglich. Die lebhafte Erzählung des Kameraden erregte seine Phantasie, daß er bereits in gierigen Zügen trank, und der Wein ihm wie goldenes Oel durch die vertrocknete Gurgel rann. Dieser Vorgeschmack der Dinge, die da kommen werden, machte ihm jede Zögerung unleidlich. Eilig raffte er sich auf; die Straße flog ihm unter den Füßen weg; die Sehnsucht verlieh ihm Hermessohlen, daß er kaum den Staub berührte trotz seiner breiten, benagelten Bundschuhe. Wie ein Federball ruhte das schwere Felleisen auf seinem Rücken. Noch nie während der ganzen Dauer seiner langen Wanderschaft war er dermassen gerannt. Der Magdeburger blieb weit zurück, und schaute ihm lachend nach. An dem Stadtthore angelangt, ließ er sich weder das Wanderbuch visiren, noch fragte er nach dem Herbergsvater. „Wo geht der Weg zum Heidelberger Fasse?“ – mit diesen Worten fiel er den ersten Besten an, welcher ihm unter dem dämmernden Thorwege entgegen kam.

Der Angeredete, ein kleiner, dürrer, grauhaariger Geselle in einem hellbraunen, verbleichten Koller, einer hohen, steifen Halskrause, und mit gelben Lederstiefeln , die ihm bis an die Schenkel reichten, schauete den Schwaben lächelnd an, griff alsbald nach einem Bund’ mächtiger Schlüssel, so ihm an der Seite hing, und öffnete ein schmales Pförtlein an der Thormauer. Auf ein gegebenes Zeichen überschritt der Leineweber die Schwelle, hinter ihm aber fiel die Thüre in’s Schloß, und der Graue drehte den Schlüssel um.

Ein feuchter Mauergeruch wehete den Eintretenden entgegen. Das Moos schillerte an den Wänden; durch einzelne, schmale Schießscharten drang das Tageslicht herein, eine trübe, unheimliche Dämmerung verbreitend, just helle genug, um die Eidechsen und anderes kriechendes Gethier unterscheiden zu können, das von den lauten Fußtritten verscheucht Zuflucht suchte in den Löchern der verwitterten Mauer. Fast wäre dem Schwaben ein geheimer Schauder überkommen, denn der kalte moderige Gang wollte kein Ende nehmen. Nur das Gefühl seines unbändigen Durstes übermannte die aufkeimende Furcht, und so schritt er denn fürder in Gottes Namen.

Voran der Schließer, hinterdrein der Wanderbursche, so ging’s Trepp’ auf, Trepp’ ab, durch Keller und Gänge, durch Gewölbe und Keuchen; die alten Thüren knarrten in den

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Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/7&oldid=- (Version vom 1.8.2018)