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Nro. 9.
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Der Teufel und sein Liebchen.


Am 18. November 1820 war ich auf dem Balle in P. Ehe und bevor die eigentliche Tanzlust oben anging, ergötzte unten in der großen Gaststube ein Grimasseur auf seltsame und unerhörte Weise. Der Mann hatte noch zwei Gehilfen. Alle drei sangen in wunderlichen Melodien unverständliche Worte, oder eigentlich gar keine, aber in der allerrichtigsten Harmonie und mit den sonorsten Organen. Besonders fuhr der eine im gellenden Diskante bis in die höchsten Töne hinauf, indeß er sich mit der Hand an dem Hals hielt. Der andere hingegen brummte in die tiefsten Bässe des Serpents. Aber der eigentliche Meister war der dritte, nämlich der Grimasseur. Der sang in allen Stimmen, und schnitt dazu, so wie zur Musik seiner Gefährten, Gesichter und Kapriolen, daß der schwermüthigste Misantrop sich des unauslöschlichsten Lachens nicht würde haben enthalten können. Dabei hatte sich der Würdige in einen höchst abenteuerlichen Anzug gekleidet. Eine großblumige Damastweste mit langen Schößen und einer Reihe Knöpfe reichte weit über den künstlich ausgestopften Speckwanst herunter, und auf der schiefstehenden Perücke wackelte ein winziges dreieckiges, plattes Hütlein. Aus den Aermeln des kurzen, braunen Rockes, der über die Weste schlotterte, fuhren zu Zeiten ellenlang die klapperdürren Hände heraus, bald wieder waren sie ganz unsichtbar. Den Rücken ganz glatt zu machen, und im nämlichen Augenblicke einen furchtbaren Höcker darauf zu hexen, hatte der Wackere eben so in der Gewalt, als die ganz willkürlichen Bewegungen seiner Nase, Ohren und Kopfhaut. Bald schob sich der Mundspitz eine gute Spanne vor, wie das Gesicht eines Pavians, bald wurde er platt und breit, wie ein Meerengel. Bald zog sich der Mund quer über das Gesicht, wie eine entsetzliche Wunde, von einem Ohre zum andern, bald sah man von Mund und Nase gar nichts, denn Alles war im Kinn verborgen.

Konvulsivisches Lachen bemächtigte sich der ganzen Gesellschaft. Selbst ich, den beim ersten Anblick des Possenreißers ein inneres Grauen erfaßte – ich wußte warum – mußte mitlachen. Man hielt die drei lustigen Gesellen allgemein für Juden, aber – ich wußte es besser – und als nun die Vorstellung geendet war, das Zimmer leerer wurde, und die Tanzlustigen hinaufgingen in den Ballsaal, da zog ich meinen Künstler bei Seite, und frug mit leiser, zagender Stimme: „Haben Euer Hochedeln sich wieder zu einer Promenade zu uns herauf entschlossen? Werden Dieselben sich etwa wieder des Beckens und des Scheersacks bedienen, wie vor zweihundert Jahren in Katzweiler? – oder haben Sie sich ein anderes, unschuldiges Vergnügen vorgenommen?“

Mit sauerer Miene betrachtete mich der Mann, und zögerte lange, was er sagen sollte. Endlich fistulirte er im heisern Diskante: „mein geehrter Herr, ich verstehe Sie nicht und weiß nicht, was Sie wollen.“

„Schon gut“ – entgegnete ich – „ich merke, Sie reisen incognito. Aber wenn ich Ihnen sage, daß ich Sie kenne, und daß ich der alten Vettel, die einst Ihrem liebenden Herzen den häßlichen Streich spielte, eben so gram bin wie Sie selber, so werden Sie meine Dreistigkeit entschuldigen, mit der ich Sie freundlichst bitte, mir eben so ein klein wenig zu helfen. Mein Pedal – Verehrter! – ist nämlich, wie Sie

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/69&oldid=- (Version vom 1.8.2018)