in entsetzlicher Angst niederbeugte und es gewaltsam an sich drückte.
„Ja seid ihr ganz närrisch,“ rief nun die Frau dazwischen, „kennt ihr’s wirklich nicht, daß die kleine Kreatur ausgegeistert hat? – Ist’s am Ende dennoch euer eigenes Kind?“
„Ja – ja,“ – stöhnte die sinnlose Mutter, – „aber um’s Blut Christi willen, Niemanden sagen, Niemanden sagen! ich dürfte mich nie mehr daheim sehen lassen! – Und mein Madele lebt noch, nicht wahr?“
Der Unwille der Bäurin batte sich jetzt in Mitleid verwandelt. „Nein, mein armes Mensch, – euer Madele ist schon wahrhaft todt,“ sagte sie verzagt und mit überlaufenden Augen.
Da stieß die Bettlerin einen jähen Schrei aus, und taumelte rückwärts an die Thürpfosten, die Kniee brachen ihr, und aus den Armen glitt ihr das todte Kind, nach dem noch schnell genug das Bauernweib griff, ehe es zu Boden fallen konnte. Die unglückliche Mutter mußte sie deroweil niedersinken lassen auf die Steine des Flurs.
Sie und andere mitleidige Seelen machten darauf Anstalt, daß das Töchterlein der Lafrenger-Anna ehrlich begraben ward. Selbst ein hübsches Blumenkrönlein legte man auf das Särglein, und dieses nun wollte die von tiefstem Wahnsinn befallene Mutter mit Gewalt haben, da sie vorher ununterbrochen mit denselben Worten ihr Kind verlangt hatte, und ihr die Leute darauf antworteten: „s’ist fort. – s’ist nimmer da, – in den Himmel hinauf ist’s geflogen zu den Engeln – wir können es nicht wieder erwischen. “ –
Um sie zu beschwichtigen, mußte man ihr endlich das Kränzlein mit den Papier- und Flitterblumen geben. Im Kopfe der Armen aber mag sich eine neue irrsinnige Verknotung aller dieser Begebnisse und Reden verschlungen haben. Sie sagte oft für sich: „Mein Kind ist todt – und ist aber auch im Himmel droben. Sie müssen Alle gestorben sein im Himmel droben; der Herrgott mit sammt den Heiligen. – Und sie haben gewiß keine so schönen Kränze am Sarge wie mein Madele!“ – Zugleich fing sie an die Kronen zu binden und bei den Kirchen niederzulegen, – und dieß Gewerbe treibt sie nun seit jener Zeit. Durch eine lange Reihe von Jahren hat sich ihr Wahnsinn nicht im geringsten geändert; mit ihrem Kinde scheint für sie zugleich die ganze Welt gestorben zu sein. Manchmal gibt sie auch zu verstehen, daß sie die Menschen, mit denen sie verkehrt, für todt hält; sie reicht ihnen dann eines ihrer Geflechte hin und sagt dazu: „Sieh da hast auch einen Kranz.“ Viele halten solch eine Begegnung mit der Lafrenger-Anna für eine böse Vorbedeutung; – doch, wie gesagt, verkehrt sie in ihrem Irrsinn weit mehr mit den Heiligen als den Menschen.
Was mag die Arme mit der Frucht einer bösen Stunde an der Brust, zuerst herabgetrieben haben zu fremden Leuten? – Es heißt, sie habe sich mit einem Wälschen vergangen, und von ihm in ihrer Noth verlassen, von ihren Angehörigen mitleidslos verdammt, habe ein dumpfer Irrsinn sie befallen, und zugleich sie hinweggejagt von dem Boden, wo sie mit ihrer Schande nicht mehr leben konnte. Es ist nämlich bei den Deutschen von Lafreng und Proveis im inneren und äußeren Wald auf dem Gampen unerhört, daß ein Mädchen einem der wälschen Nachbaren Gehör gibt, und wie sie ohnehin auf reine Sitte strenge halten, so rügen sie einen Fehltritt mit einem Fremden in doppeltem Maße. Vater und Bruder sprechen dann zur Gefallenen: „Mach dich fort, wir kennen dich nicht mehr,“ und Mutter und Schwester würden nicht um die Welt mit ihr zur Kirche geben. So mag auch Anna zu einer Gezeichneten und Ausgestossenen geworden sein. Niemals hat irgend ein Mensch aus Lafreng ihr nachgefragt. –
Sie kann noch lange Kränze binden, – solche Leute werden meist sehr alt, – bis sie etwa einmal aus ihrem Wermuthbündlein einschläft und im Himmel droben auswacht, und freudig erstaunen wird, daß der barmherzige Gott und seine Heiligen nicht gestorben sind, und bei ihnen ihr Madele als ein schönes Engelein lebt.
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/87&oldid=- (Version vom 24.7.2016)