aber der Graue lächelte, und rieb ohne ein Wörtlein zu sprechen, den verhängnißvollen Hahn immer mehr und mehr auf. Vergebens mühte sich der Leineweber aus der gefährlichen Lage sich zu bringen; es däuchte ihm, als sei er an den Boden gefesselt. Aengstlich sträubte er sich mit Händen und Füßen, und weil ihm der Strom, welcher auf ihn herniederschoß, das Sprechen bereits unmöglich machte, so wendete er flehend seine Blicke auf den Schließer. –
Da ward ihm aber gar schauerlich zu Muthe! Bei dem Lichte, welches vom Weine wegging, vermochte er erst den grauen Gesellen und seine unheimlichen Züge deutlich zu erkennen. Beim heiligen Georg von Mindelheim! – hatte er ihn doch selbst gesehen in Altötting bei einer Wallfahrt, ganz wie er leibte und lebte vor aberhundert Jahren, und jetzt erst gewahrte er das Bärtlein am spitzen Kinn, und das fahle, gelbe Gesicht. Es war Tilly, der alte bayerische Feldmarschall, welcher Heidelberg hatte unter Wein setzen lassen, wie ihm der Magdeburger erzählte. Unter widerlichem, schadenfrohen Lachen stemmte sich derselbe mit aller Kraft gegen den Weberbaum, der als Hebel diente, um den Riesenhahn zu drehen, und dem Rheinfalle gleich fluthete der Wein auf den Burschen herab. Dabei hatten die oben auf dem Spundloche ein Gelärm und Gejubel, stampften auf den Boden, daß die Deichen sich bogen, und das alte Holzwerk krachte; die Trompeten schmetterten und die Baßgeigen brummten, daß sie das ängstliche Gestöhne des Schwaben weit überschrieen. Nebenbei dünkte es diesem, als vernähme er aus dem Gelächter deutlich die Stimme des Magdeburgers, wie er dem Feldmarschall zurief und zujohlte, er möge nicht auslassen, bis der Leineweber, ersäuft sei! –
Schon schlugen die Wellen am Boden über ihm zusammen; schon begann die Weinfluth zu steigen bis zur Höhe seiner Backenknochen; – da stählte die Angst ihm die Sehnen. In seinen Muskeln zuckte es, und er fühlte, wie ihm in der äussersten Noth die Kraft wuchs, daß er die Faßreife über’s Knie abbrechen, und die Deichen in den Händen hätte zerdrücken können, wie Lichtspähne. So empfahl er sich dem Schutze der sieben heiligen Nothhelfer; stemmte sich mit den Füßen gegen den Hahn; that einen kräftigen Ruck, dann noch einen – – und das Riesengebälke stürzte rücklings über die Leghölzer zusammen, daß es durch die Hallen dröhnte, wie ein Donnerschlag, und das Gewände erzitterte, als wäre der Blitz in’s Haus gefahren! Der Weingischt schäumte bis an die Gewölbdecke, und die goldgelben Wogen rauschten über den Schließer und die von der Höhe stürzenden Burschen und Dirnen und Spielleute zusammen, wie Springfluth! Der Webergeselle aber raffte sich auf, that einen Freudenschrei über die gelungene Herkulesarbeit, und – erwachte.
Da thaueten bereits die Abendwinde die Rheinebene her, und es dämmerte im Odenwald, und die stillen, freundlichen Gründe der Bergstraße entlang. – Der Bruder Magdeburger aber hatte sich von dem schlaftrunkenen Schwaben weggestohlen, und aus Versehen sein Felleisen mitgenommen, nachdem er ihm vorher die um den Arm geschlungenen Tragriemen abgeschnitten. Die Hitze des Tages war vorüber, und das wohlgespickte Ränzlein mochte ihm in der kühlen Dämmerung nicht allzu lästig fallen.
Als desselbigen Abends noch der Webergeselle nach Heidelberg kam, ging er verdrießlich und still geraden Weges durch die Stadt, fragte weder nach dem Herbergsvater, noch wo es sonst guten Neckarwein gäbe; am wenigsten aber nach dem Heidelberger Fasse.
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/9&oldid=- (Version vom 31.7.2018)