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seine tyrannischen Gesetze mit großer Härte vorschreibt, und immer noch fortfährt, uns vampyrartig das alte treue deutsche Herzblut auszusaugen. Es ist furchtbar, wie bitter sich Frankreich für die Niederlagen seiner großen Armee bei Leipzig und Waterloo an uns rächt! Wie viel werden noch die künftigen Jahrhunderte zu thun haben, um uns vollständig aus dem Französischen zurück zu übersetzen und zu verdeutschen!

Ist an neuen Witzen und Schlagworten gerade Landesdürre eingetreten, so mag der Witzige gelegentlich seinen alten Vorrath an Witzen ausbeuten. Man kann sie nicht oft genug hören, und ohnehin wird in der Gesellschaft stets der Eine oder der Andere sich befinden, welchem dieser oder jener verrostete Witz vollkommen neu erscheint. Noch besser, wenn der witzige Tafelnarr durch natürliche Anlage oder Uebung die Fähigkeit besitzt, witzige Anspielungen zu erfinden. Mögen sie auch noch so hausbacken und albern sein, so verfehlen sie doch ihre Wirkung nicht, wenn sie nur mit dem richtigen Accente vorgetragen werden.

Es bemerkt z. B. Jemand gegen irgend wen: er sehe so angegriffen aus, so liegt das „Abgegriffen“ sehr nahe, oder man macht Wortspiele mit „Einsicht“ und „Aussicht“, mit „Absatz“ (z. B. „Stiefelabsatz“ und „Bücherabsatz“,) mit „Visite“ und „Viehsitte,“ mit „Lebenszwecken“ und „Stiefelzwecken,“ mit „Hauszucht“ und „Zuchthaus,“ mit „Rußland“ und „Landruß,“ mit „Made“ und „Mädchen,“ mit „Philosoph“ und „Vielsoff,“ mit „Professor“ und „Brodfresser,“ mit „Theetisch“ und „Aesthetisch“ u. s. w.

So oft diese Witze auch schon da gewesen sind, so scheinen sie doch, mit richtigem Accente vorgetragen und zu gelegener Zeit angewendet, immer wieder die Eingebung des Augenblicks zu sein.

Hierzu bedarf es nur der gespanntesten Aufmerksamkeit auf Alles und Jedes, was in der Gesellschaft vorgeht oder gesprochen wird, und wenn z. B. die Hausfrau gelegentlich bemerkt, sie müsse für eins ihrer Kinder Thee aus „Tausendgüldenkraut“ bereiten, so ist der witzige Narr rasch bei der Hand und äußert: „was ihn beträfe, so wäre ihm ein Tausend-Guldenkraut lieber;“ oder man stößt mit den Gläsern auf das Wohl des Wirths an, so bemerkt er: Ich stoße sonst zwar nicht gerne an, mache heut aber eine Ausnahme, obschon eine Einnahme mir lieber wäre.


4. Der Stellencitirer.



Ist nur eine Ab- und Nebenart des Vorigen. Er hat sich eine Menge leicht anwendbarer Stellen aus deutschen Klassikern, besonders aus Schiller gemerkt, um sie bei vorkommender Gelegenheit an den Mann, oder wie es gerade kommt, an die Frau zu bringen. Dahin gehören Stellen wie folgende: „Es gibt im Menschenleben Augenblicke,“ „das war kein Meisterstück, Octavio!“ „das ist das Loos des Schönen auf der Erde“, „ob rechts die Vögel fliegen oder links;“ „das Leben ist der Güter höchstes nicht, der Uebel größtes aber ist die Schuld;“ „oder sind die Schulden“, wie der Stellencitirer die Phrase witzig verdreht; „Max, bleibe bei mir, geh nicht von mir, Max!“ (wenn er Jemand auffordern will, die Gesellschaft noch nicht zu verlassen). „Auf diese Bank von Stein will ich mich setzen“ (wenn man sich auf irgend eine Bank, selbst wenn sie nicht Stein, oder auf irgend einen Stein, selbst wenn er nicht Bank ist, niederlassen will); „Ich sei, gewährt mir die Bitte, in Eurem Bunde der Dritte“ (wenn er zu Zweien, welche in Unterhaltung begriffen sind, hinzutritt); „die Jungfrau geht, und nimmer kehrt sie wieder“ (wenn z. B. eine junge Dame das Zimmer verlassen will) u. s. w. Schiller eignet sich hierzu am besten[VL 1], außer ihm noch Müllner und einige Andere. Wenn z. B. ein starkes Geräusch eintritt, so ergreift der Stellencitirer diese Gelegenheit sogleich am fliegenden Haar und deklamirt: „Dieser Knall ist ein Schall, der den Fall eines Menschen kann bedeuten,“ oder bei anderer Gelegenheit: „das Warum wird offenbar, wenn die Todten auferstehen.“ Auch der überpathetisch und darum ergötzlich wirkende Vortrag größerer Partieen und Monologe gehört in das Departement des Stellencitirers.

(Fortsetzung folgt.)


Anmerkungen der Vorlage

  1. Noch schlimmer ist es, wenn der Stellencitirer auch über die Malerei kommt. Der freundliche Leser betrachte die Bilder der nächsten Seite, Scenen aus der Blüthezeit des menschlichen Lebens, jener Zeit des Schwärmens, wo die Erde für den Verliebten voll Nachtigallen, Rosen, Veilchen und sonstigen Zartheiten wimmelt und der Himmel voller Geigen hängt. Unter solche zarte Bilder setzt nun der Stellencitirer Verse eines Klassikers als Erklärung und gibt den ernsten Darstellungen der ersten Liebesfreude und des innigen Liebesschmerzes die entgegengesetzte Deutung.




Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 036. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/40&oldid=- (Version vom 12.12.2020)