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Seite:Fliegende Blätter 2.djvu/49

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„Wie lange wird dieser Schreckenszustand noch dauern! Da lösche ich das Licht aus, um nicht verrathen zu werden, lege mich zu Bett, und wenn ich vermuthen darf, daß Alles schläft, stehe ich angstvoll wie eine Sünderin wieder auf, meine erste Vorbereitung ist Lüge, meine erste That ist eine Verletzung väterlichen Eigenthums.“

„Werden mir diese Sünden vergeben werden können?“

„Rosalia! denke nicht klein, sei nicht verzagt! Du bewunderst ja Eugen Aram, der doch ein Mörder war. – Sei ein Mann, Rosalia! Verdientest du doch als Mann geboren zu sein!“

„Ich muß aber die Ereignisse dieses Tages aufzeichnen, ehe sie sich meinem Gedächtnisse entwinden.“

„Geträumt habe ich in der Sylvesternacht – aber was doch gleich? – So viel ich mich erinnere, wurde ich von einem Ochsen verfolgt, dem ich nicht entrinnen konnte. Das Unthier nahte sich meinem Lager, glotzte mich aus den feurigen Augen drohend an und erschütterte das Zimmer mit seinem Gebrüll. Ich barg mich unter die Federdecke, mein Herz pochte gleich einem Hammer, der Athem stockte mir, allein der Ochse hatte kein Erbarmen mit dem schwachen Weibe, er schlug sein Haupt gegen den Boden vor Zorn und Wuth, schon berührte er mich mit seinen Hörnern. Da erwachte ich.“

„Ob dieser Ochse – Gott verzeihe mir, – mein Oheim ist, der mich nicht begreift und mich stets mit seinen Spöttereien verfolgt, weil ich ein so innerliches Leben führe? – Aber warum gebe ich auch so viel auf Träume, da mir doch sonst jeder Aberglaube fern ist? Seltsames Widerspiel der menschlichen Natur!“

„Früh eine Neujahrsbetrachtung gelesen. Dann mit Eltern und Geschwistern gefrühstückt. Allerdings muß man zugeben, daß meine älteste Schwester Sophie einen trefflichen Kuchen bäckt, obschon ich die Bemerkung machen mußte, daß die Mandeln zu sehr vorschmeckten. Hierüber kam ich mit ihr, wie gewöhnlich, in Streit, indem sie mir vorwarf, daß bei mir Alles nach Tinte schmeckte. Ueber diesen dummen Witz lachten die Uebrigen alle, bis ich vor Aerger in Thränen ausbrach, und die Mutter, die zuweilen meine Partie nimmt, den Streit schlichtete.“

„Doch zog ich mich sehr bald auf mein Studierzimmer zurück und las 112 Seiten in Heinse’s Ardinghello.“

„Welche Gluth der Empfindung und Darstellung!“

„Freilich kann eine solche Lektüre nur für eine gewissermaßen Geschlechtslose, wie ich, ungefährlich sein. Ich betrachte Heinse nur von der neutralen Höhe der Kunstanschauung. Wer aber dem bloßen Stoffe verfallen ist wie die meisten meiner Mitschwestern, dem möchte eine solche Lektüre leicht zu Gift werden. Mir dient sie zur Erbauung und Aufweckung meines inneren Menschen.“

„Freilich wollen Viele überhaupt nicht zugeben, daß ein solcher innerer Mensch im Weibe steckt. Sie sagen, unsere äußere Hülle sei so schwach, daß dieser innere Mensch, der immer nach Ausdehnung strebt, sie wie die Gase den überheizten Dampfkessel sprengen würde.“

„Wie hat man die emancipirten Frauen, denen ich mich mit Stolz beizähle, lächerlich zu machen gesucht! Auch über mich hat man gespottet, als ich mehrmals mit Glück versuchte, eine Cigarre zu rauchen. Dies geschah ja nicht aus Wohlgeschmack oder aus Caprice oder um Aufmerksamkeit zu erregen, sondern allein aus einem höhern Princip und zur Ehrenrettung meines Geschlechts. Es kam mir ja nur darauf an, zu beweisen, daß wir nicht so schwach sind als wir scheinen, daß selbst die körperliche Stärke nur ein eingebildeter Vorzug des Mannes ist, oder daß, was uns daran abgeht, durch unsern moralischen Muth aufgewogen werden kann.“



„Aber wie verletzend war es für mich, als der Artilleriehauptmann von Blasebalg mich bei jener Gelegenheit spöttisch fragte: „wird Ihnen nicht übel, mein gnädiges Fräulein? Sie stehen ja im Cigarrenrauch so fest, wie unsereins im Pulverdampf!“

„Und Herr von Blasebalg ist unter allen mir bekannten Männern der einzige, den ich achte, da er unter den Carlisten gedient und mehrere Wunden als Ehrenmäler mit nach Hause gebracht hat.“

„Oh ich bin eine Carlistin, schon meines Hauptmanns und des großen Zumalacarreguy wegen. Wie herrlich ist doch der Gedanke, Wittwe eines solchen todtgeschossenen Helden sein zu können!“

„Leider ist dazu in Deutschland keine Aussicht; daher werde ich auch wohl ewig unverheirathet bleiben, und als vestalische Jungfrau sterben.“

„Nachdem ich mich noch durch Heinse’s Ardinghello gestärkt, setzte ich mich hin, um an meinem Tagebuche zu schreiben. Meinen früheren Ausspruch nehme ich übrigens hiermit zurück und behaupte: Geist und Fleisch müssen gleich willig und gleich stark

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 045. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/49&oldid=- (Version vom 20.8.2021)