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Nro. 34.
10. II. Bd.
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Großes keroplastisches Kabinet.

Ein unbändig gefühltes, eigenthümliches Bedürfnis sprach sich bereits seit einer Reihe von Jahren in jedem wahrhaft Gebildeten Europa’s so lebhaft aus, ja schrie so zu sagen laut auf, ohne daß im Geringsten von irgend einer Seite ein Schimmer von Hoffnung auf Befriedigung oder Stillung in Aussicht war. Tausenden von weniger Bemittelten oder zu Entfernten, war bisher ein in seiner Art einziger Genuß versagt, Tausende konnten sich nur nothdürftig an den zwar großartigen, aber stets unvollkommenen Schilderungen laben, welche von Mund zu Mund gingen, und verließen zuletzt den sonnigen Garten hienieden, in dem für sie eine der schönsten Blumen nicht blühte . . . . .

Wie viele Thränen der Sehnsucht mögen insgeheim geflossen, wie vielen Nächten der Schlaf verscheucht worden – wie viele Seufzer mancher harrenden Brust entflohen sein? Frage sie nur diese grippebleichen Antlitze, die dir hie und da aufstoßen, – beinahe immer ist es nur dieses eine und selbe namenlose Sehnen . . . . .

Wir meinen nämlich und es ist wohl kaum ein Zweifel, daß irgend Jemand, der auf Bildung Anspruch machen will, noch etwas andres meinen könnte:

Das weltberühmte große keroplastische Kabinet des
     G. Kienle seligen aus Nördlingen am Ries und
     W. Brennecke aus Leipzig.




Es sei uns vorerst vergönnt, ein paar Worte über die Keroplastik (ober Wachsbildnerei) im Allgemeinen auszusprechen

Betrachten wir die Sculpturen des Alterthums oder der Neuzeit – alle die Statüen und Büsten, sei es in Marmor, in Bronze, oder in Alabaster, oder in Sandstein, Gyps u. s. f.; wenn wir aufrichtig sein wollen, so müssen wir gestehen, daß wirklich ein enormer Grad von Einbildungskraft dazu gehört, sich darunter wirkliche Menschen, lebende Menschen von Fleisch und Blut, was sie denn eigentlich doch vorstellen wollen, vorzustellen. So eine Stein- oder Gypsfigur, die uns mit leerem todten Auge anstarrt ohne Pupille, mit einem Teint, der noch über die Todtenfarbe hinausgeht und schon an das Gespenstische streift (vom Coftüm gar nicht zu reden, das oft höchst sparsam und zuweilen gar nicht vorhanden ist, und daher noch obendrein gegen alle Sittlichkeit verstößt) so eine Figur, sage ich, macht immer nur einen höchst unangenehmen ja oft widerlichen Eindruck, und ist auch nur rein auf eine krankhafte Pedanterie und klassische Antiken-Fresserei berechnet – nur für solche Leute berechnet, die durch einen gewissen Grad von Bildung es schon so weit gebracht haben, daß sie beinahe mehr in der Einbildung als in der Wirklichkeit leben, die nicht bedenken, daß die Alten nur aus der kleinlichen Eitelkeit auf den Gedanken geriethen, ihre Antiken in Bronze zu gießen und in Marmor zu hauen, um ihnen größere Dauer zu geben , und sie bis auf unsre Zeit und für unsre Sammlungen zu erhalten, was in ihrer Zeit, wo noch alle die Vervielfältigungsmittel, als Bücher-, Holz- und Steindruck fehlten, leicht verzeihlich, ja als natürliche Folge erscheint.

Wir hingegen, einer ganz andern Zeit angehörend, nämlich der unserigen, sind eben durch die gänzliche Umgestaltung derselben nunmehr für unsre neuen Antiken auch auf ein anderes Material angewiesen. Und dieses ist das Wachs.

Betrachten wir nun einmal im Gegensatze z. B. eine Büste oder Figur von Wachs, vielleicht Porträtfigur, in der nicht nur die Züge, sondern auch die Farbe des Dargestelltwerdensollenden treu wieder gegeben sind , und nicht mit einem leeren Auge, sondern einem wirklich und natürlich erscheinenden, jedoch künstlichen Auge von Glas (jetzt in Paris bis zur letzten, äußersten Täuschung angefertigt, am besten Rue Vivienne 7, Frères Battista, und wozu nur ein Muster eingesandt zu werden braucht) den Scheitel von wirklichen Haaren umkränzt, und wo der Rumpf mit natürlichen Kleidern bekleidet ist: so werden wir sehen, daß das Kunstwerk seine beabsichtigte Wirkung auf den Beschauer nie verfehlen, und, ohne die Einbildungskraft besonders anzuspannen, einen ungeheuer frappanten Eindruck machen wird, der dadurch, daß

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 073. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/77&oldid=- (Version vom 20.8.2021)