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Nr. 10. Beiblatt zu den Fränkischen Blättern. 1848.


Der Schriftsteller als Modell.

Vor ungefähr zweihundert Jahren lebte in Paris ein junger Schriftsteller, eben so bekannt durch sein Talent, als wegen seiner Häßlichkeit, die, was menschliche Häßlichkeit betrifft, nicht so leicht übertroffen werden konnte. Sein Gesicht war von den Pocken im hohen Grade entstellt und auch außerdem so mißgestaltet, daß eine geistreiche Dame, die Frau von Sevigne, von ihm zu sagen pflegte: „In der That, dieser junge Mensch mißbraucht das Privilegium der Männer, häßlich zu sein.“

Nichtsdestoweniger war Paul – so hieß der junge Schriftsteller – in seiner Jugend sehr von sich eingenommen und glaubte überall Eroberungen zu machen, eine Meinung, von deren Grundlosigkeit er durch einen ziemlich pikanten Vorfall überzeugt werden sollte, der, als er bekannt wurde, dem lachlustigen Paris auf mehrere Tage Stoff zur Unterhaltung gab.

Die Geschichte ist folgende.

Paul hatte eines Tages sein Zimmer und die ehrenwerthe Gesellschaft der Klassiker, die er mit großer Vorliebe studirte, verlassen, um außerhalb des Hauses frische Luft zu schöpfen und sich Bewegung zu machen. Fröhlich durchirrte er die Straßen, wo das bunte Gewühl, die rastlos auf- und niederfluthende Menschenmenge, die in den Schaufenstern der Kaufgewölbe befindlichen Gegenstände ihm Unterhaltung und Vergnügen gewährten. Die Zeit verging, er wußte nicht wie.

Schon wollte er sich wieder nach Hause begeben, als er eine Dame von auffallender Schönheit bemerkte, eine hohe junonische Gestalt mit dem niedlichsten Fuße, der je über das Straßenpflaster des neuen Babylon geschwebt. Ihr Gesicht war fein und zart. In den Grübchen der Wangen stritten sich Anmuth und Schalkhaftigkeit um die Herrschaft, und Schamhaftigkeit und Wollust zugleich blitzten aus zwei großen schwarzen Augen hervor.

Das ohnehin leicht entzündbare Herz des häßlichen Paul wurde durch den Anblick so außerordentlicher Reize in lichte Flammen versetzt. Er suchte sich der Dame bemerklich zu machen und war mehr als glücklich, als ein, wenn auch flüchtiger, doch vielversprechender Blick ihrer Sonnenaugen auf ihn fiel und ein bezauberndes Lächeln ihm zu sagen schien, daß er einen günstigen Eindruck auf sie gemacht.

Die Dame bog jetzt in eine von den kleinen und dunklen Gassen ein, welche wie Bäche in die Ströme der Hauptstraßen von Paris einmünden. Paul folgte ihr mit der Treue eines Pudels, beflügelte, von Sehnsucht und Liebe getrieben, seine Schritte und befand sich bald dicht neben ihr. In diesem Augenblicke, den die Schöne erwartet zu haben schien, ergriff sie seine Hand und lud ihn ein, ihr zu folgen.

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Eduard Kauffer (Red.): Der Nürnberger Trichter. Friedrich Campe, Nürnberg 1848, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fr%C3%A4nkische_Bl%C3%A4tter_nebst_dem_Beiblatt_Der_N%C3%BCrnberger_Trichter.djvu/137&oldid=- (Version vom 31.7.2018)