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nahe legen, welche der Selbsterhaltung zuwiderlaufen, wird man auch an der Allgemeingiltigkeit[WS 1] jener banalen Wahrheit irre, auf der das Lehrgebäude der Individualpsychologie erbaut ist. Aber der großen Menge muß eine solche Lehre hoch willkommen sein, die keine Komplikationen anerkennt, keine neuen, schwer faßbaren Begriffe einführt, vom Unbewußten nichts weiß, das auf Allen lastende Problem der Sexualität mit einem Hieb beseitigt, sich auf die Aufdeckung der Schliche beschränkt, mit denen man sich das Leben bequem machen will. Denn die Menge ist selbst bequem, verlangt zur Erklärung nicht mehr als einen Grund, dankt der Wissenschaft nicht für ihre Weitläufigkeiten, will einfache Lösungen haben und Probleme erledigt wissen. Erwägt man, wie sehr die Individualpsychologie diesen Anforderungen entgegenkommt, so kann man die Erinnerung an einen Satz im Wallenstein nicht zurückdrängen:[WS 2]

Wär’ der Gedank’ nicht so verwünscht gescheidt,
Man wär’ versucht, ihn herzlich dumm zu nennen.

Die Kritik der Fachkreise, so unerbittlich gegen die Psychoanalyse, hat die Individualpsychologie im allgemeinen mit Samthandschuhen angefaßt. Es hat sich zwar in Amerika ereignet, daß einer der angesehensten Psychiater einen Aufsatz gegen Adler veröffentlichte, den er „Enough“ überschrieb, in dem er seinem Überdruß an dem „Wiederholungszwang“ der Individualpsychologen energischen Ausdruck gab. Wenn andere sich weit liebenswürdiger benommen haben, so hat wohl die Gegnerschaft gegen die Analyse viel dazu getan.

Über andere Schulen, die von unserer Psychoanalyse

Anmerkungen (Wikisource)

  1. in späteren Ausgaben geändert: Allgemeingültigkeit.
  2. Friedrich Schiller: Wallenstein (1799) – Die Piccolomini, 2. Akt, 7. Auftritt.
Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien 1933, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Neue_Folge_der_Vorlesungen_zur_Einfuehrung_in_die_Psychoanalyse_1933.pdf/198&oldid=- (Version vom 21.5.2018)