Scheune spielend gesehen worden sein. Ein Lust- oder Raubmord war nach Lage der Dinge ausgeschlossen. Der Befund der Leiche lässt darauf schließen, daß der Mord in der Scheune passirt sei; Niemand hat aber einen Hilferuf oder sonst ein Schreien wahrgenommen. Anfänglich stand man wie vor einem Räthsel. Sehr bald lenkte sich jedoch der Verdacht gegen den Schächter und Vorbeter der jüdischen Gemeinde, Schlächtermeister Buschhoff. Mehrere Kinder und auch Erwachsene wollten gesehen haben, daß das ermordete Kind am Vormittag des 29. Juni von der Frau und der Tochter des Buschhoff in das in unmittelbarer Nähe der Küppers’schen Scheune gelegene Schlachthaus gezogen worden sei. Andere Leute wollten wahrgenommen haben, daß der ermordete Knabe am Vormittage des 29. Juni in dessen Schlachthaus mißhandelt worden sei, weil er dem Buschhoff gehörige Grabsteine beschädigt habe. Noch eine Reihe anderer Verdachtsmomente wurde rege, und diese führten zunächst dazu, daß die Menge dem Buschhoff sein Besitzthum demolirte, an das Buschoff’sche Haus „Mörderhaus“ anschrieb und auch die Läden anderer Xantener Juden durch Einwerfen der Schaufenster u. s. w. beschädigte, zumal das Gerücht auftauchte: Der Mord könne nur mit einem Messer, mit dem jüdische Schächter zu hantiren pflegen, ausgeführt sein, denn der unglückliche Hegmann sei nach Art des „Koscherschächtens“ geschlachtet worden, und die That könne nur deshalb begangen worden sein, weil die Juden zu dem Passahfeste Christenblut nöthig haben. Die Erregung der Menge wuchs derartig, daß die Xantener jüdische Gemeinde sich veranlaßt sah, den Minister des Innern zu bitten, auf ihre Kosten einen tüchtigen Kriminalbeamten behufs Entdeckung des Thäters nach Xanten zu senden. Der Minister entsprach sogleich dieser Bitte und entsandte den Kriminal-Kommissar Wolff aus Berlin nach Xanten. Nachdem Letzterer einige Tage in Xanten geweilt, verhaftete er am 14. Oktober 1891 den Buschhoff, sowie dessen Frau und Tochter wegen Verdachts der Thäterschaft. Die nun gegen die drei Personen eröffnete Untersuchung führte jedoch dazu, daß am 24. Dezember alle drei Verhafteten aus der Haft wieder entlassen und das Verfahren gegen sie eingestellt wurde. Nachträglich scheinen jedoch neue Verdachtsmomente aufgetaucht zu sein, denn Anfang Februar d. J. erfolgte die Verhaftung der drei Personen von Neuem. Nach einiger Zeit wurden Frau und Tochter des Buschhoff
Hugo Friedländer: Der Knabenmord in Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4. bis 14. Juli 1892. W. Startz, 1892 Cleve, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Der_Knabenmord_in_Xanten_(1892).djvu/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)