Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 10 (1914).djvu/27

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

Zeugin bekundete ferner auf Befragen: Die Angeklagte habe sie ersucht: sie solle nicht sagen, daß sie mit Rieß allein gesprochen habe. – Vors.: Haben Sie denn einmal gesehen, daß Frau Rosengart mit Rieß allein gesprochen hat? – Zeugin: Nein. – Vors.: Weshalb mag Frau Rosengart diese Äußerung wohl getan haben? – Zeugin: Das weiß ich nicht. – Vors.: Als Sie eine Vorladung zu dem Untersuchungsrichter erhielten, soll Frau Rosengart zu Ihnen etwas gesagt haben? – Zeugin: Die gnädige Frau sagte: Du wirst ja wissen, was du zu sagen hast.

Auf Befragen des Verteidigers, Justizrats Dr. Sello, bemerkte schließlich die Zeugin: Als Frau Rosengart den Eimer Wasser hinauftrug, habe der gnädige Herr noch gelebt. – Der Erste Staatsanwalt erwähnte, daß er einen anonymen Brief erhalten habe. – Auf Antrag des Verteidigers, R.-A. Dr. Lichtenstein, wurde dieser Brief vorgelesen.

Er lautete etwa folgendermaßen:

„Herrn Staatsanwalt, hochgeboren! Sie werden mich entschuldigen, daß ich Ihnen bitte, die unglückliche Frau Rosengart freizulassen. Frau Rosengart ist unschuldig. Wir Arbeiter alle zusammen haben den Inspektor Rieß aufgefordert, Herrn Rosengart zu erschießen. Rieß hat dies auch getan, da er Frau Rosengart liebte, um sie von dem schlechten Manne zu befreien. Ich habe oft gesehen, wie Rosengart seine Leute anband, sie schlug und beschimpfte. Frau Rosengart ist aber unschuldig. Ich bitte Ihnen um Gottes willen, Herr Staatsanwalt, Frau Rosengart freizulassen. Sie würden sonst an der Frau und an den armen Kindern eine schwere Sünde begehen. Sie sind auch kein Gott, sondern nur ein Mensch. Sie haben gewiß schon manchen Menschen unschuldig verurteilt! (Heiterkeit im Zuhörerraum.) Wenn Sie auch noch die unglückliche Frau Rosengart verurteilen, dann würden Sie eine Unschuldige verurteilen und viel Elend

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/27&oldid=- (Version vom 1.8.2018)