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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

endete. Die Verwandten wollten nicht länger schweigen, als sie sahen, mit welch frivoler Art sich die Angeklagte über die Ermordung ihres Mannes hinwegsetzte, sie brachten deshalb das Verbrechen zur Anzeige. Ich habe schon bei vielen Kriminalfällen, die noch bedeutend schwieriger waren als dieser, mitgewirkt. Allein eine solche Zeugenbeeinflussung, wie sie durch den Referendar a. D. Wolff versucht worden, ist mir in meiner langjährigen Praxis noch nicht vorgekommen. Daß Herr Referendar a. D. Wolff als Verlobter der Angeklagten bemüht war, soviel als möglich Entlastungsmaterial herbeizuschaffen, ist erklärlich und entschuldbar. Aber in der Weise, wie in dem vorliegenden Fall auf die Zeugen eingewirkt worden, wie fast jeder Mensch in der Provinz gefragt worden ist, ob er etwas Nachteiliges über einen Belastungszeugen wisse oder etwas für den Leumund des Rieß vorbringen könne, ist ein Verfahren, das doch die Grenzen des Zulässigen weit überschreitet. Es wird notwendig werden, die Zeugen in zwei Klassen zu teilen: in solche, die von Wolff beeinflußt waren, und in solche, die von Wolff nicht beeinflußt waren. Sie haben gehört, daß selbst eine Zeugin von dem gestrigen Plaidoyer des als Zeugen vernommenen Rechtsanwalts Haase ganz verwirrt geworden ist.

Der Erste Staatsanwalt gab alsdann den Geschworenen eine eingehende Belehrung über die vorliegenden Schuldfragen und führte weiter aus: Voraussetzung für die Bejahung der Schuldfragen ist, daß Sie die Überzeugung erlangt haben: Rieß sei der Täter gewesen. Wenn Sie, meine Herren Geschworenen, der Meinung sind: Rieß ist nicht der Täter, dann müssen Sie die Schuldfragen verneinen. Es ist kein Zweifel, der ermordete Rosengart war eine sehr brutale Natur, der einen sehr gefährlichen Trunk hatte. Rosengart hat oftmals, wenn er betrunken war, seine Arbeiter geschlagen, ja auf diese geschossen. Allein trotzdem ist es meiner Überzeugung nach ausgeschlossen, daß in den

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/91&oldid=- (Version vom 1.8.2018)